Debattierklub neben der Zapfsäule

An der Tankstelle in der Luckauer Innenstadt trifft sich zu jeder Jahreszeit Jung und Alt

  • Michael Sagorny
  • Lesedauer: 3 Min.
Tankstelle Luckau: Herr und Frau Häßler (links) haben sich hier das Ja-Wort gegeben.
Tankstelle Luckau: Herr und Frau Häßler (links) haben sich hier das Ja-Wort gegeben.

Unverdrossen trifft sich der harte Kern. Bereits um 14 Uhr sind sieben Stammgäste versammelt. »Das ist ein Teil meines Lebens. Hier treffe ich nette Menschen mit interessanten Meinungen. Es ist immer was los. Ich möchte den Treffpunkt Tankstelle nicht missen«, sagt Michael Häßler, 42, Koch aus Luckau. »Ich komme gern und oft her, wenn meine Zeit es zulässt.«

»Das ist der schönste Ort auf Erden! Hier kann man alles sagen und der andere hört zu«, ruft Karl-Heinz Holzhauer ziemlich euphorisch dazwischen, »das sage ich ganz ehrlich.« Der Zimmermann ist fester Stammgast der Runde und für die Uhrzeit schon ganz schön aufgeräumt.

Susanne Radlach arbeitet seit 2003 im Schichtdienst an der Kasse der Benzinanstalt. »Also, langweilig ist es hier nie«, bestätigt die freundlich lächelnde Angestellte. »Unsere Stammgäste sind ruhige Menschen. Man kennt ja seine Pappenheimer. Wenn die Diskussion zu erregt oder zu fröhlich wird, werde ich auch mal lauter. Manchmal sind Kunden dann etwas irritiert, aber es hat noch keine nennenswerten Zwischenfälle gegeben.«

Doch es gibt noch eine weitere Gruppe Stammgäste an der Tankstelle. Sie treffen sich meist dort, wo man die Reifen seines Fahrzeugs aufpumpen kann. Die Jugendlichen und Jungerwachsenen aus Luckau und Umgebung. »Das ist hier so eine Art Jugendtreff«, erläutert Andreas Hennig, 24, Kfz-Servicemechaniker aus Luckau. »Wir kommen her, um einen Kaffee oder eine Limonade zu trinken. Eigentlich zu jeder Jahreszeit. Dann reden wir über Gott und die Welt – und natürlich über Autos.« 30 bis 40 Leute zählen zu der Clique. »Die Jugendlichen sind richtig vernarrt in ihre Autos. Wenn die gut geputzt sind, kann man damit auch mal ein Mädchen beeindrucken. Da wird neben den Unterhaltungen kräftig gewaschen und gewienert«, sagt Susanne Radlach, die die Jugendlichen nett findet.

Michael Häßler, der Koch, verlässt derweil den Verkaufsraum, um weit neben der Tankstelle eine Zigarette zu rauchen. Eine Frau begleitet ihn mit zwei fast erwachsenen Kindern. Der Koch stößt Rauch aus der Nase. »Wir unterhalten uns hier meist über das Tagesgeschehen. Da gibt es schon verschiedene Standpunkte. Dabei entstehen natürlich auch Freundschaften. Und dann kommen auch andere Themen auf den Tisch: Ängste, Sorgen, Nöte. Das kann ganz gut helfen.« »Ja«, bestätigt die Frau, »wir sind eine ganz gute Gemeinschaft.«

»In der Nachtschicht muss man die Nerven bewahren«, erklärt Susanne Radlach. »Vorsicht, aber keine Angst, das ist meine Devise.« Die Stammgäste gehen meist um Mitternacht. Im Sommer habe einmal morgens um Fünf ein Jugendlicher nackt vor Säule fünf getanzt. Das sei selbst für diesen Job außergewöhnlich gewesen. Die Verkäuferin streicht sich über den Bauch. Sie ist im siebten Monat schwanger. Um ihre Zukunft macht sie sich keine Sorgen. Nach dem Mutterschutz kann sie weiter an der »Tanke« arbeiten.

Andreas Hennig wärmt sich unterdessen die Finger an seinem Kaffeebecher. »Früher haben wir uns ja oft am Busplatz getroffen«, erzählt der junge Erwachsene, aber da haben sich die Anwohner wegen der Musik beschwert, die aus den Autos kommt. Das Problem: In Luckau gibt es keinen Jugendklub mehr. Auf der Tankstelle ist Lärm dagegen kein Problem.

Draußen ist die Zigarette schon fast geraucht, da erwähnt Michael Häßler beiläufig seinen schönsten Moment auf der Tankstelle. »Das war so vor drei Jahren«, legt er los, »wir kannten uns schon eine Weile von hier.« Der Koch nimmt die neben ihn stehende Frau plötzlich in den Arm. »Da hab ich ihr hier an der Tanke einen Heiratsantrag gemacht. Sie hat sofort ja gesagt und nach zwei Monaten war die Trauung.« Die Tankstelle ist nicht nur für die beiden ein besonderer Treffpunkt.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal