Letzter Akt unbekannt

Schuldebatte mit Lenz im Theater an der Parkaue

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Diese Gesellschaft ist nicht einladend. Knurrend verteidigt sie ihr Gebiet. Der dazugehören will, heult mit den Wölfen oder bleibt gefälligst draußen. Hinter der Fassade gibt man sich vornehm und lebt ohne Liebe und Freude in der Familie des Majors von Berg. Allein Tochter Gustchen ist »des Majors Herzens einziger Trost«. Doch auch Sohn Leopold soll mit Bildung versorgt werden. Als Hauslehrer wird Herr Läuffer engagiert. Der müht sich nun mit Klein Leopold, bei dem keineswegs Lust zum Lernen aufkeimt. Gustchen soll der Hofmeister im Zeichnen unterrichten. Doch es zeichnet sich zwischen ihr und dem Lehrer anderes ab. Sie wird schwanger. Ihr geliebter Cousin Fritz landet indes im Knast, weil er für seinen haltlosen Kumpel Pätus gebürgt hatte.

Welches Bemühen Erwachsener um Bildung Jugendlicher auch immer im Spiel ist, kündigte das Theater an der Parkaue für das Stück »Der Hofmeister Oder die Vorteile der Privaterziehung« von Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 bis 1792) an, es schließt die Interessen der Betroffenen erst einmal aus. Sie gehen ohnehin ihren Weg.

Bei den Baronen von Kleist war Lenz 1771 selbst Hauslehrer. In seinem Stück von 1774 geht es um den Wert verschiedener Bildungskonzepte. Das Thema ist bis jetzt nicht abgeschlossen. Heute bieten zunehmend Privatschulen ihre Dienste an. Den Eltern schwirrt der Kopf bei der Suche nach dem richtigen Lernmodell für ihr Kind. Politische Debatten aus unterschiedlichen Motiven helfen ihnen zumeist auch nicht weiter.

Das Stück von Lenz aus dem Sturm und Drang soll eine Komödie sein. Sie ist in der Art, dass man nicht mit, sondern nur über die Handelnden lacht. Mitgefühl kommt kaum auf. Für die Koproduktion des Jungen Staatstheaters mit der Puppenspielabteilung der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« konnte Albrecht Hirche gewonnen werden. Er schuf auch das Bühnenbild, das die Aussage stützt, dass man sich mit dem Thema im Kreise dreht. Ein großer Ring schwebt über der Spielfläche. Das wirkt zunächst wie ein Heiligenschein über der Majorsfamilie. Später wird der Ring zu Räumen wie die Heimstatt des Schulmeisters Wenzeslaus, zur Studentenbude, zur Spielfläche für die Puppen und zu einem Teich, in dem sich Gustchen ertränken will.

Die Puppen von Karin Tiefensee und Ingo Mewes heben die Wesenszüge der handelnden Figuren hervor wie Dummheit, Eitelkeit, Dreistigkeit, Unerschrockenheit, Verlogenheit. Provozierend ist die Deutlichkeit vom gockelhaft steifen italienischen Tanzlehrer bis zur Gestalt des frivolen Freundes Pätus. Allein die Rollen des Majors und seines Bruders, dem Geheimen Rat, sind mit Schauspielern besetzt, die nun mit den durch Studenten des 3. Studienjahrs geführten Puppen zusammen agieren. Denis Pöpping spielt den Major – atemlos vor ohnmächtiger Wut über die Geschehnisse in seiner Familie. Lutz Dechant gibt den Geheimen Rat überlegen, mitunter schadenfroh, zumeist amüsiert über diese Hysterie. Der Majorsbruder holte sich keinen Arbeitslosen wie Läuffer als Lehrer ins Haus. Er schickte seinen Sohn Fritz zur städtischen Schule. Als der in Halle studiert, ist er aber nicht in der Lage, einen Brief vorzulesen. Da wird's nun wirklich komisch.

Nach 105 Minuten geht das rasante Spiel scheinbar glimpflich für alle aus. Da lüften die in Schwarz gehüllten Puppenspieler Dennis Katzmann, Katharina Kummer, Julia Struwe, Jonathan Strotbek und Annemie Twardawa ihre Masken (Kostüme: Kathrin Krumbein). Regisseur Hirche bedient sich unter anderem einiger Verszeilen Joseph von Eichendorffs zur nie endenden Komödie: »Und keiner kennt den letzten Akt von allen, die da spielen. Nur der da droben schlägt den Takt, weiß, wo das hin will zielen.«

Nun, »der da droben« muss dem Theater fürs Programmheft ein diskussionswürdiges Interview aus »sueddeutsche.de« vom 19. Februar mit dem Amerikaner James Bach in den Schoß geworfen haben. Der erfolgreiche Softwareentwickler ohne Schulabschluss gibt unter anderem bekannt, Schule sei moderne Sklaverei.

Bis 28.3., Theater an der Parkaue, Parkaue 29, Lichtenberg, Tel. 55 77 52-0, www.parkaue.de

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