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Westerwelle-Kritiker kaltgestellt

Elternratsvorsitzender musste nach Anzeige gegen Minister zurücktreten

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Vorstand des Kreiselternrats in Leer (Ostfriesland) hat seinen Vorsitzenden Gunther Clemens zum Rücktritt vom Amt gedrängt. Ihm wurde vorgeworfen, dass er Außenminister Guido Westerwelle aufgrund dessen Äußerungen über Hartz-IV-Empfänger und »spätrömische Dekadenz« wegen Beleidigung angezeigt hatte.

Der gelernte Schreiner Gunther Clemens, 42, war seit dem 1. November Vorsitzender des Kreiselternrates, und er ist eher untypisch für ein solches Amt. Seinen Beruf als Fernfahrer konnte er seit 2004 aus Krankheitsgründen nicht mehr ausüben. Er ist Hartz-IV-Empfänger, ehrenamtlich in einem Jugendcafé in Leer sowie als Vorsitzender des Schulfördervereins tätig und versteht sich als engagierter, friedliebender Mensch und Verfechter sozialer Gerechtigkeit. Mit seiner Anzeige gegen Westerwelle, die er als Privatperson erstattet hatte, hatte Clemens weit über Ostfriesland hinaus viel Staub aufgewirbelt. Er bekam ein »mannigfaltiges Feedback« (ND berichtete). Innerhalb weniger Tage erhielt er 200 Zuschriften per Post, dazu kamen noch unzählige E-Mails und Telefonanrufe. Der Tenor sei »durchweg nur positiv« gewesen, so Clemens. Viele Menschen hätten »durch seine Aktion nun Mut gefunden, aus ihrer Schmollecke herauszukommen und gemeinsam zu kämpfen«.

All dies missfiel indes seinen Vorstandskollegen im Kreiselternrat. Er habe sein Amt missbraucht und dem Ansehen des Gremiums schweren Schade zugefügt, hieß es in einer Presseerklärung. Sein Handeln sei »völlig inakzeptabel« und in keiner Weise mit dem Kreiselternrat abgesprochen, berichtete die Ostfriesenzeitung dieser Tage. Man habe ihm »den Rücktritt nahegelegt«, erklärte der zweite Vorsitzende Ingo Heynen. »Wenn ich ein gewisses Amt bekleide, handle ich nicht mehr als Privatperson«, dozierte er. Diesem massiven Druck der übrigen Vorstandsmitglieder gab Clemens schließlich nach und trat zurück.

Zuspruch und Solidarität fand Gunther Clemens indes bei der LINKEN im Landkreis Leer. Deren Vorstandsmitglied Tony Kofoet bezeichnete den Vorgang als »Trauerspiel« und erklärte das Mobbing der Elternräte gegen Clemens aus ihrer sozialen Zusammensetzung heraus: »Elternräte von der Kreisebene aufwärts setzen sich meistens aus Angehörigen des so genannten Bildungsbürgertums zusammen.« Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten oder deren Ehefrauen ließen sich in die Gremien wählen, um »das Beste« für ihre Kinder zu erreichen. Clemens habe wohl nicht in dieses Schema gepasst, weil er »kein Angehöriger der lokalen Möchtegernelite« sei. »Die Damen und Herren BildungsbürgerInnen« wollten offenbar nicht in den Ruf kommen, im Vorstand »mit einem Hartz-IV-Empfänger zusammenarbeiten zu müssen, der die Frechheit besaß, sich als Privatperson gegen die verleumderischen Beleidigungen des Guido W. zur Wehr zu setzen«.

Mit einem »Schmuddelkind« wie Herrn Clemens in Verbindung gebracht zu werden, könnte doch dem eigenen Image schaden, argwöhnte Kofoet. Die LINKE forderte den Kreiselternrat auf, seine Entscheidung rückgängig zu machen. »Wir brauchen engagierte Menschen wie Gunther Clemens, die die Interessen der Kinder aus allen Schichten wahrnehmen, über den Tellerrand hinaus blicken und sich für die sozialen Belange der Mehrheit der Bevölkerung einsetzen.«

Niedersachsens Justiz hat Medienangaben zufolge die Strafanzeige gegen Guido Westerwelle inzwischen an die zuständigen Behörden in Berlin weitergeleitet.

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