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  • Beilage zur Leipziger Buchmesse

Haushalt für die Bürger

STAATSFINANZEN

  • Christa Luft
  • Lesedauer: 4 Min.

Aus dem breiten Angebot an finanzwissenschaftlicher Literatur sticht diese Publikation dadurch hervor, dass sie eine auch für Fachfremde verständliche systematische Abhandlung der Staatsfinanzen bietet und dies aus einer ausdrücklich kapitalismuskritischen Sicht. Sie versteht sich als praktische Handreichung für all jene, die an einer alternativen Finanzpolitik interessiert sind.

Der Autor, Dozent für Volks-wirtschaftslehre an der Sächsischen Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie in Dres-den, belässt es nicht bei einer abstrakten Darstellung der Staatsfinanzen. Vielmehr zeigt er mit hoher Sachkompetenz, straff strukturiert, quellen- und faktenreich deren Relevanz im Alltagsleben der Menschen.

Seine Ausgangsthese lautet, dass eine alternative, sozial orientierte Finanz- und Wirtschaftspolitik im Kapitalismus nicht an der Eigentumsfrage vorbeikommt. Dabei sieht Leibiger im Verstaatlichungsmodell des realen Sozialismus kein Vorbild, sondern plädiert für pluralistische Eigentumsverhältnisse. Er stellt ein Bündel von Kriterien vor, die bei der praktischen Entscheidung, ob ein bestimmter Bereich eher öffentlich oder eher privat betrieben werden soll, eine Rolle spielen können. Zu Recht weist er darauf hin, dass mit fortschreitender wissenschaftlicher und technologischer Entwicklung die Eigentumsfrage immer erneut aufgeworfen wird.

Durchgängig betont der Autor die Priorität des Politischen. So mit Ausführungen zur sozial gerechten Ein- und Ausgabenpolitik in Bund, Ländern und Gemeinden und zur Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben. Er argumentiert zur umstrittenen Frage, wie viel Schulden ein Staat tragen kann und mit welchen Folgen eine Entschuldung vor sich gehen könnte. Diese Passagen werden gerade in der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise bei einer nach Orientierung suchenden Leserschaft auf Interesse stoßen. Allerdings finden sich zu alternativen finanzpolitischen Strategien im Umgang mit der Staatsverschuldung und ihrem möglichen Rückbau erst Konturen. Das Setzen auf Wirtschaftswachstum, auf höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen oder die Abschaffung der kürzlich eingeführten Schuldenbremse sind dafür nicht hinreichend. Wie wär’s mit einem Insolvenzrecht, mit einem Zinsmoratorium für Anlagen ab einer bestimmten Größe und dergleichen? Hier ist ein Terrain für Teamarbeit. Dass Ideen solcher Art auf Widerstand stoßen, darf keine Hürde sein.

Dem Anspruch, eine Einführung in eine alternative Finanzpolitik im und zum System zu geben, stellt der Autor sich konstruktiv mit Darlegungen zum »Kooperativen statt Wettbewerbsföderalismus« und zur »solidarischen sozialen Sicherung«. Anders als in den üblichen Lehr- und Fachbüchern findet man bei ihm Aufhellungen darüber, wie die verborgenen Mechanismen der Macht funktionieren, mit denen die Regierenden im real existierenden Kapitalismus bislang an ihrem finanzpolitischen Kurs im Interesse der herrschenden Klasse (diesen Begriff wie auch den der »Klassenauseinandersetzung« scheut der Autor nicht) festhalten können: Bedienung von Klientelinteressen, Lobbyismus, der neoliberale Mainstream in Wissenschaft und Medien, von der Exekutive genutzte Leihbeamte aus der Wirtschaft usw. Schließlich informiert der Autor über Theorien, die seiner Meinung nach mit einer kritischen Finanzwissenschaft kompatibel sind. Dazu zählt er jene neokeynesianischen Richtungen, die Elemente des marxschen Erbes integrieren, sowie Theorien, welche die Krisen ausgehend von Marx' Lehre der Überakkumulation erklären.

Die Demokratisierung finanzpolitischer Entscheidungen sieht der Verfasser als Moment des Ringens um Hegemonie, als Suche nach praktischen Formen, die über das bestehende System hinausweisen und als eine Art »Einstiegsprojekt« einer Transformation verstanden werden können. Er zeigt Ansätze dafür und stützt sich vor allem auf den sogenannten »Bürgerhaushalt«, wie er erstmals im brasilianischen Porto Alegre erprobt wurde. Inzwischen gibt es auch in einigen deutschen Städten bzw. Stadtteilen solche Versuche. Das Problem bei diesem interessanten Vorgang besteht nur darin, dass die Forderung nach Demokratisierung der Finanzpolitik, nach Bürgerbeteiligung sich auf die kommunale Ebene und dort auch nur auf den nicht bereits durch gesetzliche Verpflichtungen gebundenen relativ bescheidenen Ausgabenteil bezieht. Zu fragen wäre, inwieweit zum Beispiel Regionalgeld oder Ethikbanken geeignete Mittel sein können, Menschen für die nachhaltige Ausgabe bzw. Anlage von Geld zugunsten ihres Lebensumfeldes zu sensibilisieren. Auch was gemäß Buchtitel »Reclaim the Budget – fordert die Budgethoheit ein« für die Landes- und Bundesebene heißt, bleibt zu vertiefen.

Dieses finanzwissenschaftliche Kompendium ist für all jene unentbehrlich, die sich jenseits des neoliberalen Mainstreams Wissen und Handwerkszeug aneignen wollen.

Jürgen Leibiger: Reclaim the Budget – Staatsfinanzen reformieren. Einführung in eine alternative Finanzpolitik. PapyRossa Verlag, Köln. 478 S., br., 28 €

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