Verdrängung ist Normalfall

Der Stadtsoziologe Andrej Holm über Entwicklungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt

  • Lesedauer: 3 Min.
Verdrängung ist Normalfall

ND: In Alt-Treptow erhöht die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft »Stadt und Land« die Mieten für 300 Wohnungen. Anwohner im Karl-Kunger-Kiez protestieren dagegen. Schwappt der Konflikt über Aufwertung und Vertreibung aus dem benachbarten Kreuzberg über?
Holm: Solche Auseinandersetzungen sind an Alt-Treptow bislang vorbeigegangen. Aber das hat nichts zu besagen: Vor zehn Jahren hätte man auf den Kollwitzplatz gezeigt und gesagt, hier passiert was Ungewöhnliches. Heute ist das anders, da sind Gebiete, in denen die Mieten nicht steigen, die Ausnahmen. Die Aufwertung und Verdrängung ist zum Normalfall der Berliner Innenstadtentwicklung geworden.

Davon ist auch der Kungerkiez betroffen?
Auf einer Stadtkarte von attraktiven Wohngegenden rangierte Alt-Treptow eher auf den hinteren Plätzen. Es gibt viel gründerzeitliche Bausubstanz, in denen seit den 90er Jahren schrittweise Erneuerungsarbeiten durchgeführt wurden. Das hat zu einer sukzessiven Veränderung unter den Bewohnern geführt. Trotzdem setzte der Wandel nicht so dramatisch ein wie in Sanierungsgebieten in Prenzlauer Berg oder Mitte. Man wohnt dort noch relativ preiswert.

Ist die Sorge der Bewohner dennoch berechtigt?
Die Baugruppen im Kungerkiez sind ein Indikator dafür, dass das Viertel auch für eine gut verdienende Mittelklasse attraktiv ist. Das hat Auswirkung auf die Mieten in der Nachbarschaft. Die Eigentümer merken, dass die Gegend besser ist als ihr Ruf, und die Versuchung ist groß, bei einer Neuvermietung die Preise anzuheben. Das sind ganz typische Mitnahmeeffekte einer symbolischen Attraktivitätssteigerung.

Die landeseigene Gesellschaft »Stadt und Land« meint jedoch, das Viertel habe nach dem sozialen Index der Senatsverwaltung eine stabile Mieterklientel. Wie ist das zu bewerten?
Alt-Treptow ist kein Problemkiez mit einer hohen Arbeitslosenquote wie in Nord-Neukölln oder Wedding. Es ist ein eher unauffälliges Viertel; gerade hier zeigen sich exemplarisch die Berliner Verhältnisse: Obwohl dort nichts Außergewöhnliches passiert, droht eine schleichende Verdrängung von ärmeren Haushalten.

Was kann eine Stadt gegen diesen Trend unternehmen?
Eine Interventionsmöglichkeit wäre ein sozialer Wohnungsbau für ärmere Haushalte. Einen anderen Weg gehen SPD, Linkspartei und Grüne: Über eine Bundesratsinitiative versuchen sie in verschiedenen Varianten Mieterhöhungen bei Neuvermietungen zu beschränken.

Könnte der rot-rote Senat mit den landeseigenen Wohnungen nicht mit gutem Vorbild voranschreiten?
Ja, auch da gibt es einen Spielraum. Berlin hat über 260 000 öffentliche Wohnungen, die zum Teil auch in den aufwertungsbedrohten Innenstadtgebieten liegen. Da sind die Gesellschaften gefragt: Folgen sie den Anforderungen der Finanzsenatoren und erwirtschaften Geld für die Haushaltskasse, oder sichern sie preiswerten Wohnraum. Letzteres gibt es zurzeit kaum.

Kann Berlin sich das nicht leisten?
Es kostet natürlich Geld, einer sozialen Entmischung vorzubeugen. Jedoch gibt es dafür auch Bundeszuschüsse, das Land würde nicht alleine dastehen. Diese Möglichkeiten werden zurzeit leider so gut wie gar nicht wahrgenommen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung weigert sich, die Verdrängung der Ärmeren als Problem anzuerkennen. Es heißt immer, der Mietpreis in Berlin sei im Vergleich zu München entspannt. Das ist auch richtig; nur bringt es nichts, nur auf den Durchschnitt zu gucken. Wir müssen differenzieren: In der Innenstadt haben wir eine ganz andere Entwicklung als am Stadtrand in den Großsiedlungen. Diese Unterschiede müssen viel mehr Maßgabe für die Politik sein, wenn man eine soziale Spaltung in der Stadt verhindern will.

Fragen: Stefan Otto

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