Leben im Käfig

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Käfig ist knapp drei Meter hoch und in drei »Etagen« unterteilt. Jede davon ist mit Bambusmatten ausgelegt, am Fußende türmt sich das ordentlich zusammengelegte Bettzeug, am Kopfende dienen rostige Ablagen als Regal für persönliches Hab und Gut. Am engmaschigen Gitternetz hängen Fächer, Jacken, Hemden, schmale Durchlässe dienen als Eingang in die Bettstatt. Es riecht muffig, wie es eben riecht, wenn jahrelang viel zu viele Menschen auf engstem Raum leben und schlafen.

»Daheim auf 2 qm – Vom Leben im Käfig« heißt die neu eröffnete Ausstellung in der Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg. Dort, wo Touristen aus aller Welt dem letzten Rest 90er-Jahre-Subkultur im ansonsten glatt sanierten Herz von Mitte nachspüren, zeigt das katholische Hilfswerk Misereor die erbärmlichen Bedingungen, unter denen rund 100 000 Menschen in Hongkong wohnen. Mit dem dreistöckigen Käfig, einer Foto-Installation und 16 Bannern mit Text und Fotos aus den Käfigheimen will die Organisation eine breitere Öffentlichkeit auf die menschenunwürdige Situation der so genannten »Käfigmenschen« aufmerksam machen. Die meisten von ihnen sind alte Menschen ohne Anspruch auf Rente oder allein erziehende Frauen mit Kindern, deren niedriges Einkommen nicht für eine eigene Wohnung ausreicht. Denn selbst ein Ein-Zimmer-Appartement kostet in Hongkong bis zu 1500 Dollar Miete – unerschwinglich für viele. So kamen geschäftstüchtige Haus- und Wohnungsbesitzer auf die Idee, einzelne Wohnungen oder Hochhausetagen mit der größtmöglichen Anzahl an Käfigen zu bestücken und diese an die zu vermieten, die sich nichts anderes leisten können.

Katastrophale Bedingungen

Billig sind diese vergitterten Schlafplätze nicht: 150 Dollar pro Monat zahlen die Bewohner durchschnittlich für ihre zwei Quadratmeter. Dabei sind die hygienischen Bedingungen oft katastrophal, Privatsphäre existiert nicht. Dusche und Toilette sowie die Küche teilen sich oft ein Dutzend Menschen oder mehr. »Ich mag die Küche nicht, sie ist voller Ratten und Kakerlaken«; klagt der siebenjährige Kam-pang Ho, und der alte Ho-Tim meint: »Das Bett erinnert mich an einen Sarg.« Dies alles und mehr erfährt der interessierte Besucher über die Schautafeln, die den Großteil der Schau ausmachen; eine in einer Nische angebrachte Fotoinstallation aus einem Käfigheim in Originalgröße will dem in puncto Wohnraum eher verwöhnten Mitteleuropäer zumindest optisch vermitteln, wie es sich anfühlt, keinen Rückzugsraum zu haben. Doch fehlen hier Geräusche und Gerüche, irgendwie bleibt durch die Konzentration auf Banner mit viel Text und vergleichsweise wenig SchwarzWeiß-Fotos alles akademisch.

Mit dem Thema Wohnen im russischen Plattenbau beschäftigt sich die Schau »Dritte Bauarbeiterstraße« im zweiten Galerieraum: Die Berliner Künstlerin tigrowna hat Fotos von Plattenbau-Siedlungen in Moskau in Siebdrucke übertragen. Die einfachere Struktur des Siebdrucks macht das Wesen der Häuser sichtbar, ästhetisiert die industriell gefertigten Aufbewahrungsschachteln aber auch. Erst wenn man genauer hinsieht, erkennt man, welch unterschiedlichen Standard die hoch in den Himmel ragenden Wohnbauten haben: Manche sind schmucklos bis zum Verfall, andere schon fast luxuriös, mit spiegelnden Fronten oder runden Erkern ausgestattet. Sputnitsa, die längere Zeit in einem Moskauer Plattenbau lebte, ergänzt die Schau durch einige Fotos und Interviews mit den Bewohnern.

Bis 5. April, mo.-sa. 12-20 Uhr, so. 14-19 Uhr; Galerie Neurotitan, Rosenthaler Str. 39, Mitte

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