Tram-Begehren zu unrecht ausgebremst

Cottbus: Gutachten rät von Klage ab

Joachim Nächilla darf sich als moralischer Sieger fühlen. Gemeinsam mit anderen sammelte er 9435 Unterschriften für ein Bürgerbegehren, das auf den Erhalt der Cottbuser Straßenbahn abzielte. Erstellt werden sollte ein Gutachten zur möglichen Erweiterung des Streckennetzes. Die Stadtverordnetenversammlung lehnte das Begehren mit den Stimmen von SPD, LINKEN und Grünen aus formalen Gründen ab. Ein Gutachten des Rechtsanwalts Peter Schüler bescheinigt Nächilla nun, dies sei nicht rechtens gewesen. Die Frage, ob sich der Jurist möglicherweise irrt, muss offen bleiben.

Das Gutachten hilft Nächilla und seinen Mitstreitern ohnehin in der Sache nicht weiter. Schüler – seines Zeichens Vorsitzender der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung – rät nämlich trotz seiner Einschätzung von juristischen Schritten ab. Das Risiko, bei einer Klage vor dem Verwaltungsgericht zu unterliegen, sei nicht zu unterschätzen. »Meiner Erfahrung nach neigen die brandenburgischen Verwaltungsgerichte dazu, die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Bürgerbegehren eng auszulegen.« Es wäre zwar interessant, die Streitfrage einmal durch das Oberverwaltungsgericht klären zu lassen, meint Schüler. Er fürchte aber, der Weg durch die Instanzen wäre lang und das Ergebnis sei ungewiss.

Die Bürgerinitiative »Pro Tram Cottbus« folgt der Empfehlung und verzichtet auf eine Klage, deren Kosten bereits in der ersten Instanz 2500 Euro betragen würden. Es bleibe die bittere Erkenntnis, dass der Stadtverwaltung und den Stadtverordneten der Wille der Bevölkerung mehr oder weniger gleichgültig sei, resümiert Nächilla. Mit juristischen Spitzfindigkeiten sei dieser Wille mit Füßen getreten worden.

Das 70 000 Euro teuren Gutachten falle wegen des vergleichsweise geringen finanziellen Werts in die Zuständigkeit der Stadtverwaltung und nicht in die des Stadtparlaments – so wurde die Ablehnung unter anderem begründet. Denn in das laufende Geschäft der Verwaltung dürfe sich ein Bürgerbegehren nicht einmischen. Anwalt Schüler betont indes, es gehe schließlich um die Zukunft des Nahverkehrs und darum durchaus um eine Frage von grundlegender Bedeutung. Dass keine Vertrauensperson des Bürgerbegehrens benannt sei, zähle nicht, denn die Stadtverwaltung hätte im Vorfeld darauf hinweisen müssen.

Die Bürgerinitiative wollte der zumindest nicht ganz auszuschließenden Gefahr begegnen, dass die Cottbuser Straßenbahn abgeschafft wird. Stattdessen schwebte ihr der Ausbau vor. Dazu sollte das Gutachten in Auftrag gegeben werden. Die Stadtverwaltung reagierte, indem sie von sich aus ein Gutachten erstellen ließ. Ergebnisse sollen Ende April vorliegen. Dem Vernehmen nach könnte eine zusätzliche zweite Anbindung des Carl-Thiem-Klinikums wirtschaftlich sein. Problem sollen allerdings die hohen Investitionskosten sein. Selbst wenn Fördermittel fließen, bliebe die Frage: Woher das Geld nehmen?

Dass überhaupt ein Gutachten in Auftrag gegeben wurde, rechnet sich die Bürgerinitiative als Erfolg an. Mit der LINKEN hat sie inzwischen »Frieden geschlossen«, wie Nächilla sagt. Im Vize-Kreisvorsitzenden Jürgen Maresch habe man einen vernünftigen Zuhörer gefunden. Maresch sitzt im Landtag und im Stadtparlament.

Das Verhältnis war angespannt. 290 Euro sammelten die Bürgerinitiative und CDU-Mitglieder für einen Mann, der in der Auseinandersetzung um die Straßenbahn ein Ei nach Oberbürgermeister Frank Szymanski (SPD) geworfen haben soll und einen Strafbefehl erhielt. Das Ei landete auf dem Tisch und bespritzte das Stadtoberhaupt. Zu den Zeugen zählte Linksfraktionschef André Kaun.
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