Eine Schlappe für Hardliner Ashcroft

Bundesrichterin urteilte gegen Terrorzeugen-Regelung der USA-Regierung

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Seit dem 11. September herrscht in den USA die Anti-Terror-Hysterie. Doch die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten läuft nicht immer reibungslos.

Hardliner wie der USA-Justizminister John Ashcroft haben mit der Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte keine Probleme. Sie haben ein Problem, wenn es damit nicht klappt. Jetzt ergab sich ein kleiner Lichtblick im dunklen Tunnel der Antiterror-Hysterie: Bundesrichterin Shira A. Scheindlin erklärte die Inhaftierung eines Jordaniers für rechtswidrig. Der 21-jährige Student Osama Awadallah, der sich für drei Monate in Haft befand und seit Dezember nur auf Kaution frei war, ist damit wieder uneingeschränkt frei. Der Haftgrund: Awadallah war im Rechtsjargon als »material witness«, als »unentbehrlicher Zeuge«, festgehalten worden. Nachdem sein Vorname mit seiner Telefonnummer im Auto eines der Flugzeugentführer vom 11. September gefunden worden war, geriet Awadallah ins Fadenkreuz der Ermittler und wurde in seiner Wohnung in Kalifornien festgenommen. Später war der College-Student von einem Lügendetektor »überführt« worden. Er habe entgegen seiner Behauptung, den Entführer nicht gekannt zu haben, die Unwahrheit gesagt. Doch Scheindlin urteilte, das Justizministerium habe das »material witness«-Statut, nach dem Zeugen mit Fluchtgefahr festgehalten werden können, überzogen. Die Regierung dürfe eines Verbrechens verdächtige Personen festnehmen, hieß es in der Urteilsbegründung, »aber seit dem Jahr 1789 hat kein Kongress der Regierung die Befugnis zur Inhaftierung einer unschuldigen Person erteilt, um sicherzustellen, dass diese vor einer Grand Jury eine Zeugenaussage macht«. Eine Grand Jury ist eine Ermittlungs- und Anklagekammer. Das Urteil Scheindlins könnte nach Auffassung zahlreicher Rechtsexperten ein Präzedenzfall werden und zur Freilassung von Dutzenden von inhaftierten »unentbehrlichen Zeugen« führen, die seit dem 11. September festgehalten werden, ohne dass man sie anklagt. Justizminister Ashcroft bezeichnete das Urteil denn auch unverzüglich als »Ausnahme« und als »anormal«. Die Regierung berät Berichten zufolge über eine Berufung. Bürgerrechtsgruppen wie Amnesty International dagegen lobten das Urteil als »ersten Schritt«. Mit dem Urteil ist den Methoden, mit denen das Justizministerium seit dem 11. September Beweise zu sammeln versucht, »möglicherweise ein Schlag versetzt worden«, resümierte die »Washington Post«. Das »material witness«-Statut, seit 1984 vom Kongress nicht mehr angerührt, sei »eine Schlüsseltaktik« der Behörde beim Versuch der Beweisgewinnung. Bildlicher drückte sich dazu der ehemalige Antiterror-Chef der CIA in der Reagan-Regierung, Vincent Cannistraro, in einem Beitrag für die »New York Times« aus. Das Justizministerium, schrieb er unverblümt, halte »Tausende von muslimischen Immigranten« fest und zwar nach der »Schüttel-den-Baum«-Methode: willkürliche Festnahme auf unbestimmte Zeit, in der Hoffnung, dass jemand nach dem Freiheitsentzug schon plaudern werde. Cannistraro kritisierte freilich, dies werde genau die Menschen »entfremden«, auf die die Behörden zum Gewinn von Erkenntnissen angewiesen seien. Die bereits erfolgte Aushöhlung bürgerlicher Rechte - von der Geheimhaltung der Zahl und der Umstände der Internierungen über die geplanten Abhörmaßnahmen von Anwaltsgesprächen bis hin zu schärferen Immigrationsgesetzen, dem »US Patriot Act« und den Guantanamo-Häftlingen - steht in krassem Widerspruch zu den erzielten Ermittlungsergebnissen, die gegen Null gehen. Die einzige Person, die in den USA bislang wegen direkter Verbindungen zu den Anschlägen angeklagt wurde, ist der Frankomarokkaner Zacarias Moussaoui - der sich zum Zeitpunkt der Anschläge aber bereits in Haft befand. Die Razzien der Zollbehörden gegen islamische Organisationen in den USA deckten keine Verbindungen zu Al Qaida auf. Und die Al-Qaida-Zelle, die laut FBI in den USA noch existieren soll, ist spurlos abgetaucht. Die »Washington Post«, die der Geheimnistuerei des Justizministeriums zum Trotz einige Zahlen veröffentlicht hat, rechnet eigenen Recherchen zufolge mit »mindestens zwei Dutzend Menschen«, die als »unentbehrliche Zeugen« irgendwo in den USA in Verließen eingesperrt sind. Die Regierung habe insgesamt mehr als 1200 Menschen festnehmen lassen, die Mehrzahl davon wegen angeblicher Visa- oder anderer Immigrationsverstöße. Von 750 Personen, die von den Einwanderungsbehörden seit dem 11. September inhaftiert worden seien, zitierte die Zeitung einen Sprecher, seien die meisten des Terrorismus unverdächtig. 525 seien abgeschoben worden. Wie hoch die Zahlen wirklich liegen, ist nur dem inneren Zirkel in der Regierung bekannt. Mit welchen Methoden Häftlinge mit arabisch klingenden Namen - ohne dass ihnen etwas vorgeworfen wird - in den USA derzeit behandelt werden, deutete Osama Awadallah nach dem New Yorker Urteilsspruch an. Er sei in den ersten drei Wochen nach seiner Festnahme am 20. September von einem Hochsicherheitstrakt zum nächsten gekarrt worden, von Südkalifornien über Oklahoma bis Manhattan. Manche Wärter hätten ihn nicht nur misshandel...

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