Neues Deutsches Kino

Eröffnung des 6. Filmfestivals »achtung berlin«

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Brandenburger Tor ist out – der Fernsehturm ist in! Diese Beobachtung scheint jedenfalls für aktuelle Berlin-Filme zu gelten. Eine Einstellung von »Sankt Walter« – und der Zuschauer weiß, dass der Film in der Spree-Metropole spielt. Auch für die Protagonistin Ellen in dem Spielfilm »Unbelehrbar« fungiert der Fernsehturm als Orientierungspunkt in der Großstadt. Straßenschilder helfen der 40-jährigen Ehefrau und Mutter nicht weiter, denn sie ist Analphabetin. Doch als sie mit einem Lese- und Schreibkurs ihr Manko beheben will, stößt ihr Streben nach Unabhängigkeit bei ihrer Familie auf Unverständnis …

»Unbelehrbar« (Regie: Anke Hentschel) ist einer von 70 Spiel- und Dokumentarfilmen unterschiedlicher Länge, die in der 6. Ausgabe des Festivals »achtung berlin – new berlin award« laufen. Das Werk konkurriert in der Wettbewerbs-Sektion »Made in Berlin-Brandenburg«, die vornehmlich jungen und unabhängigen Filmemachern eine Plattform bietet und mit einem Preisgeld dotiert ist. Vor allem liegt den Festivalleitern Hajo Schäfer und Sebastian Brose jedoch am Herzen, neue Berliner Filmproduktionen verschiedenster Genres und Bekanntheit ans Berliner Publikum zu bringen.

In dem Programm, das in insgesamt sechs Sparten unterteilt ist, befinden sich ausschließlich Filme, deren Handlungs- oder Produktionsort Berlin ist. So spielt Sabine Steyers Dokumentarfilm »Miss Senior Sweetheart« zwar im US-Bundesstaat Massachusetts, doch Regisseurin und Produktionsfirma sitzen in Berlin. Die Dokumentation begleitet ältere Damen, die sich unbeeindruckt von gängigen Ästhetiknormen auf einen Schönheitswettbewerb vorbereiten. Die Seniorinnen demonstrieren bei ihren Auftritten Selbstbewusstsein und -ironie und offenbaren in Gesprächen schöne und tragische Einsichten ihres Lebens.

Von dem russischen Kosmopoliten und Wissenschaftler Sergej Tschachotin handelt der Dokfilm »Sergej in der Urne«. Regisseur Boris Hars-Tschachotin, Urenkel des Porträtierten, will Tschachotins Asche beisetzen und spricht dafür mit dessen über ganz Europa verstreuten Nachkommen. Aus deren Zeugnissen entsteht das faszinierende Porträt eines Menschen, dessen Leben ein Spiegel des 20. Jahrhunderts war. Als Gegner von Krieg und Diktatur vernachlässigte der mehrfache Emigrant seine diversen Ehefrauen und Kinder, die sowohl unter dem Nationalsozialismus als auch dem Stalinismus leiden mussten.

Über das Filmprogramm hinaus zeigt »achtung berlin« auch eine Videoinstallation über Rudi Dutschkes Frau Gretchen. Zudem wird eine Videobus-Tour an Drehorte berühmter Berlin-Filme veranstaltet. Den Dialog zwischen Kreativen untereinander und dem Publikum will das Festival unter anderem mit Film-Talks, Werkstattgesprächen und einem Kameraworkshop fördern, die in der »25p*lounge« gegenüber dem Hauptkino Babylon-Mitte organisiert werden.

Als Geheimtipp des diesjährigen Programms könnte sich die Sparte »Hauptstadt der Leinwandspione« entpuppen. Die Stadt Berlin fungiert darin als Protagonist in- und ausländischer Agentenfilme aus dem Kalten Krieg. In Westfilmen wurde die DDR-Hauptstadt mit (mehr oder) weniger Geschick nachgestellt, was zu einiger Heiterkeit Anlass geben dürfte, ebenso wie die propagandistischen Untertöne in Filmen beider Lager. Überdies kann man in diesen Filmen mittlerweile verschwundene Orte wiederentdecken, etwa die Nordkurve der Avus oder den Görlitzer Bahnhof.

Eröffnet wird das Festival am 14. April im Kino International – allerdings nur mit kleinem Kaufkartenkontingent – mit Marvin Krens Splatter-Film »Rammbock«. Darin haben sich die meisten Hauptstädter in blutsaugende Zombies verwandelt. Das unterhaltsame Trash-Werk spielt überwiegend in einem Berliner Altbau-Hinterhof, einmal zeigt eine Panorama-Einstellung aber auch ein digital bearbeitetes, brennendes Berlin – und am Horizont leuchtet verlässlich der Fernsehturm.

Vom 14.4. bis 21.4. in den Kinos Babylon-Mitte, Filmtheater am Friedrichshain, Passage; mehr Infos unter: www.achtungberlin.de

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