Volksfest, Demo und Scharmützel

Innensenator Ehrhart Körting und Polizeipräsident Dieter Glietsch mit Bilanz zufrieden

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und Polizeipräsident Dieter Glietsch sparten nicht mit Eigenlob. Dass die Gewalt an Walpurgisnacht und 1. Mai im Gegensatz zum Vorjahr wesentlich geringer ausfiel, läge vor allem am Vorgehen der Polizei, sagten sie gestern bei ihrer Bilanzpressekonferenz.

Körting lobte, die Beamten hätten bei der Demonstration in der Walpurgisnacht gegen die Nazikneipe »Zum Henker« in Niederschöneweide und beim Aufmarsch der Rechtsextremen am 1. Mai in Pankow die Demonstrationsfreiheit verteidigt. Einen Seitenhieb gegen seinen Genossen Wolfgang Thierse, der an den Blockaden gegen die Nazi-Demonstration teilnahm, konnte Körting sich nicht verkneifen. Er habe ihm im Vorfeld mehrfach freundschaftlich davon abgeraten.

Auch in Kreuzberg habe die Polizei ihre Bewährungsprobe bestanden. »Im Anschluss an die Revolutionäre 1. Mai Demonstration hat es nur vereinzelt Scharmützel gegeben«, erklärte der Innensenator. Die Demonstration sei auch deswegen friedlich verlaufen, weil die Strecke zwischen Kottbusser Brücke und Spreewaldplatz kürzer ausgefallen sei, als in den vergangenen Jahren. Auch der Veranstalter habe kein Interesse an Ausschreitungen gehabt und deswegen mit der Polizei kooperiert, fügte Glietsch hinzu. An der Demonstration hätten mindestens 6000 Menschen teilgenommen, nach Angaben der Veranstalter waren es sogar 15 000.

»Linke Autonome haben in den Abendstunden immer wieder versucht, die Stimmung anzuheizen. Doch die Polizei konnte mit sehr schnellem Eingreifen und Festnahmen die Gewalt sofort eindämmen«, bilanzierte Körting. Sie wäre dabei entschlossen vorgegangen. Insgesamt wurden am 30. April und 1. Mai etwa 487 Personen festgenommen, davon 186 in Kreuzberg. Zwischen zwei und vier Uhr wurden dort am Bethaniendamm und in der Wiener Straße nach Polizeiangaben noch zwei Autos angezündet.

Beim Myfest hätte sich aber gezeigt, dass die Kreuzberger keine Randale wollten, sondern lieber ausgelassen feiern, so Körting. Das Fest nannte er »volksfestähnlich«. Es konnte zu den Spitzenzeiten 27 000 Besucher verzeichnen. Dieses Jahr war die Demonstrationsroute nicht durch das Myfest verlaufen.

Polizeipräsident Glietsch freute sich, dass wesentlich weniger Polizisten in Berlin verletzt wurden als im vergangenen Jahr. Rund 7400 Beamte waren an beiden Tagen im Einsatz. Davon 2500 Unterstützungskräfte aus anderen Bundesländern. Etwa 98 Polizeibeamte wurden verletzt. Einer von ihnen liegt mit einem Hämatom am Hals im Krankenhaus. Er war in Kreuzberg nicht durch einen Messerstich verletzt worden, wie die Polizei zunächst gemeldet hatte, sondern mit einem stumpfen Gegenstand. Vermutlich wird er aber schon bald wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Über verletzte Demonstranten wird dagegen keine Statistik geführt. »Hierzu habe ich überhaupt keine Zahlen«, musste der Polizeipräsident einräumen.

Dass ein Polizeibeamter nach der Revolutionären 1. Mai Demonstration in der Wiener Straße einer wehrlosen Frau, die bereits auf dem Boden lag, einen harten Tritt gegen den Kopf versetzte, wurde von Glietsch und Körting bestätigt. Die Tat ist auf einem Video dokumentiert, das seit gestern Abend im Internet kursiert. Die für Amtsdelikte zuständige Fachdienststelle beim Landeskriminalamt habe noch am 1. Mai die Ermittlungen aufgenommen, versicherte der Polizeipräsident. Die Geschädigte sowie Zeugen sollten sich umgehend bei der Polizei melden.

Der Kreuzberger Mai-Abend

19.05 Uhr: Die Demo linker und autonomer Gruppen setzt sich von der Kottbusser Brücke aus in Bewegung. An der Spitze ein schwarzer Block mit gut 50 Reihen mit je zehn bis fünfzehn Personen.

19.51 Uhr: Endhalteplatz Spreewaldplatz: Aggressive Stimmung und Sprechchöre. Der autonome Block zieht weiter auf die Skalitzer Straße, wo Polizisten den Weg zum Kottbusser Tor versperren.

20.17 Uhr: Flaschen und Steine werden aus der Menge auf die Polizei geworfen. Große Gruppen von Polizisten stürmen in die Menge und treiben sie auseinander.

20.24 Uhr: Auf der Skalitzer Straße knallen Böller. Polizeitrupps greifen sich Störer.

21.24 Uhr: Wiener Straße, Ecke Ohlauer Straße: Ein Krankenwagen mit Blaulicht steht umringt von rund 50 Polizisten auf der Straße. Neben dem Wagen liegt auf dem Boden ein verletzter Polizist.

21.39 Uhr: Reichenberger Straße: Autonome haben eine Barrikade aus Müllcontainern, Paletten und Absperrgittern angezündet.

22.20 Uhr: Kottbusser Straße. Zehn Polizei-Mannschaftswagen fahren Richtung Landwehrkanal. Sie werden mit Steinen beworfen.

22.35 Uhr: Kottbusser Straße. Die Stimmung ist aggressiv. Steine und Flaschen fliegen auf die Polizei.

22.40 Uhr: Drei Wasserwerfer der Bundespolizei fahren am Anfang der Kottbusser Straße auf.

23.10 Uhr: Ein Wasserwerfer löscht Müllcontainer.

23.45 Uhr: Die Polizei schiebt die Menge Richtung Landwehrkanal. Gewalttätigkeiten enden vorerst.

01.30 Uhr: Kottbusser Tor: Auf dem Platz sind immer noch rund 500 Menschen, die die Polizei lautstark beschimpfen. Mehrere Polizeitrupps schieben die Menschen auseinander. Die Lage entspannt sich langsam. dpa

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