Othello

Netz der Verunsicherung

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Als José Limón 1949 »The Moor’s Pavane« vorstellte, hatte er Shakespeares Drama auf vier Personen reduziert. Othello und Desdemona, Jago und Emilia tanzen mit dem Tüchlein als einzigem Requisit ins Verderben. Weltweit wurde jene Todes-Pavane zum Klassiker des modernen Tanzes. Weniger Personnage ist nicht möglich, mochte man denken. Die 1999 von Christian Leonard gegründete Shakespeare Company Berlin beweist das Gegenteil: »Othello!«, ihre zehnte Produktion, kommt mit drei Darstellern aus, und die geben zusammen ein gutes Dutzend Rollen.

Dass man sich im steten Wechsel der Parts zerfasern kann, in jedem Fall wandlungsfähig sein muss, liegt auf der Hand. Auf Volkstheater setzt Jens Neumanns Inszenierung, ganz im Sinn des Spielorts Heimathafen, verwendet als Textversion Leonards Neuübersetzung. Sie lässt den Abend schon vor dem Stück beginnen, die Akteure in ihrer Grundkleidung – Kniebundhose respektive Wams in Leinen – die Programmhefte feilbieten. Die hat es im Shakespeare-Theater noch nicht gegeben, wohl aber den Kontakt zwischen Publikum und Darstellern. Ein Theatererlebnis ohne Distanz fordert auch der Hefttext. Als die Spieler an der Rampe sitzen und kabbeln, wer heute den Othello spielt, stellt man sich auf Turbulenz ein. Das fixe Bühnenbild, drei offene Tore in maurisch stilisierten Gemäuern, kann das nicht leisten, was umso mehr die Darsteller in die Pflicht nimmt.

Über zweieinhalb Stunden sind sie stark gefordert und bedienen neben dem Spiel auch im Mittelhaus verborgene perkussive oder rasselnde Instrumente bis hin zu einer Art Didgeridoo. Es ist überwiegend stimmungszeugender Rhythmus, den Kuba Pierzchalski ihnen komponiert hat. Zwischen jenen Zäsuren aus Klang ereignet sich die dämonische Geschichte vom zu sehr liebenden, zu wenig vertrauenden Mohren, der an seinen Selbstzweifeln zugrunde geht, in den Untergang sein vermeintlich ungetreues Weib reißt. Als er Desdemona zum Brautpfand das rote Tuch schenkt, stottert er, ganz Fremder, aber sie versteht ihn. Rot ist auch seine Bluse, kennzeichnet das Außenseitertum.

Reale Gründe hat Jagos Hass: Trotz redlicher Dienste zog der General Cassio vor, orderte den zum Leutnant. Grund zur Klage hat auch Brabantio, weil ihm Othello die Tochter stahl, als er sie, Desdemona, heimlich ehelichte. Sehr zum Verdruss Rodrigos, der sich Hoffnung auf das Mädchen machte. Ein Fremder soll das Heimatland nicht regieren, brabbelt Brabantio und stellt damit Weichen für den Inszenierungsansatz. Der zielt nicht simpel auf einen Mohren, sondern den Fremden schlechthin: Überall ist jemand fremd, hier Othello. Zyperns Statthalter Montano ficht das nicht an, ist der tüchtige General doch unverzichtbar in Kriegszeiten. Jago aber spinnt genau daraus seine Intrige, wirft über Othello das Netz der Verunsicherung.

Gemächlich läuft Othello, starke Emotion vermeidend und bisweilen verhalten deklamierend, an der Rampe, was Distanz zu den Rollen schafft. Amüsantes bringen en travesti »Othello« Cristián L. Carrasco als süffelnde Emilia, »Jago« Stefan Plepp als Dirne Bianca ein; Christina Fraas springt vom Kleid der Desdemona in Cassios Wams – was Shakespeare gewundert hätte. Geschickt sind die Umzüge eingebaut, gestatten indes nur wenige »große« Bilder. Einzig beim Mord an der Gattin erlaubt sich Othello laute Töne, ächzt sich ridikül in den eigenen Dolchtod. Da hat der windige Jago sein Werk vollendet. Und wird nicht einmal bestraft: lebensnah.

Wieder 1., 2.6., 22.7., Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Str. 141, Kartentelefon: 030-56 82 13 33, www.heimathafen-neukoelln.de

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