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Auf der Leiter

  • Matthias Wede
  • Lesedauer: 3 Min.

Es war die schwerste Krise der Europäischen Union seit der Erfindung des Badeofens. Da hat eine Frau getan, was ihr kaum jemand zugetraut hat: Sie hat Europa Hoffnung und Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben. Und zugleich mutig einen deutschen Führungsanspruch erhoben: »Ich will gewinnen.«

Im strategisch entscheidenden Moment setzte sie alles auf eine Karte. Sie brauchte nur etwas mehr als drei Minuten dafür. Vom ZDF wurde sie deshalb umgehend eine »nationale Heldin« genannt. Das hatte es seit Fürst von Bismarck und Fußballer Fritz Walter nicht mehr gegeben. Mancher mag das für übertrieben halten. Doch sie wird geliebt: Nicht nur von uns Deutschen (100 Prozent), sondern auch von den stolzen Letten, Esten und Finnen. Und den Spaniern, die aber vielleicht nur unser Geld wollen.

Wie macht diese Frau das nur? Die europäischen Völker (z.B. in Asien die Armenier) beneiden uns für die Geradlinigkeit, die ungekünstelte Direktheit unserer Repräsentantin. Hinzu kommen ihre unglaubliche Belastbarkeit (welchem Stress sie in den letzten sechs Wochen, seit Griechenland die Pfoten hob, ausgesetzt war!), ihren Humor und ihre Schlagfertigkeit, ihr sonniges Gemüt, ihre Bescheidenheit. Manche schätzen sogar ihren Look, ihre Frisur und ihren süßen Sexappeal: Lena Meyer-Landrut.

Und was tut derweil die Kanzlerin? Stunden, bevor Lena sich gegen die aggressiven Türken durchsetzte, war Frau Merkel auf Katastrophentourismus im äußersten Osten, in Frankfurt. Dort quälte sie sich ein Leiterchen hinan, um einen Blick über die Spundwand auf die hurtig fließende Oder zu riskieren. Dann erklärte sie gelangweilt, dass alles getan werden müsse usw. usf.

Dass der Pegel daraufhin sank, führen Experten nur mittelbar auf das Eingreifen der Kanzlerin zurück, räumten aber ein, das Gewässer könnte durch den hohen Besuch beeindruckt gewesen sein. Auch hier hätte das Fräulein Meyer-Landrut mit ihrem magischen »Seid ihr alle crazy!« indes entschieden mehr erreicht. Schließlich brauchte sie auf der multilateralen Konferenz in Oslo lediglich einen zwischen vier Noten oszillierenden magischen Sprechgesang anzustimmen, der »Alle meine Entchen« an Komplexität noch unterbot, und nur jeden zweiten Ton zu treffen, um zahlreiche Völker zu erschüttern. Frau Merkel musste für den gleichen Effekt ca. 1 Billion Euro über Europa ausschütten, und die Freude darüber hielt nur einige Tage an. Der Katzenjammer hält länger.

Wie geht nun die Kanzlerin mit dem Erfolg ihrer politischen Erz-Rivalin um? Typisch Merkel! Sie verhält sich, wie sie sich im Kleinkrieg mit Friedrich Merz und Roland Koch verhielt. Bloß nicht direkt kommentieren und möglichst weit weg sein – in Israel oder an der Oder. Pikiert ließ sie Glückwünsche zum Blitzsieg ausrichten. Durch wen? Nun, durch ein besonders bedauernswertes Geschöpf des Politikbetriebes, den ewigen Kronprinzen Christian Wulff (»Kanzler kann ich nicht«). Der witterte seine Chance, um in den Dunstkreis der »Heldin von Oslo« zu kommen und sich für weitere Verwendung zu empfehlen, falls es mal andersrum kommt. Gefühlte zwei Stunden lang stand er wie ein Chauffeur auf dem Rollfeld des Flughafens und zupfte nervös an seinen Manschetten, bis Meyer-Landruts Sondermaschine landete und sie von der Gangway griente (sie hatte verpennt).

Schlechter ging es an diesem Wochenende nur Matthias Platzeck, der einst vom Deichgrafen zum brandenburgischen Ministerpräsidenten aufstieg. Der wartete drei Tage lang auf eine Chance, sich mit einem Sandsack fotografieren zu lassen, schlief im THW-Zelt und ging auf ein Trockenklo. Aber es fand sich im Deich keine Sickerstelle. Die Leute riefen schon »Geh doch nach Hause!« Da hat er flugs die Weltformel formuliert: »Wir sind erst durch, wenn der Scheitel durch ist«. Das war so crazy – besser hätte es die Meyer Landrut auch nicht gekonnt.

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