Was ist Kunst und wer bestimmt ihren Wert?

Die Ausstellung »Wertwechsel« im Museum für Angewandte Kunst Köln

Eine Papierkugel erregt derzeit ganz Großbritannien. »Work #88« vom britischen Künstler Martin Creed ist für den mit über 60000 Mark dotierten Turnerpreis, den wichtigsten britischen Kunstpreis, nominiert. »Work #88« ist nichts anderes als eine Papierkugel, zusammengeknüllt aus einem Din A 4-Blatt. »Das kann ich auch«, wird sich jeder sagen, der schon einmal wütend ein verschmiertes Blatt aus seinem Drucker gezogen, zusammengeknautscht und in den Papierkorb befördert hat. Die Kugel herzustellen, sei gar nicht so einfach, versicherte Creed hingegen der Londoner »Times«. Selbst wenn jemand Creeds Technik kopierte, so wäre es zweifelhaft, ob er sein Exemplar zu jenen 6000 Mark verkaufen könnte, wie es dem Künstler bereits gelungen sein soll. Zweifelhaft auch, ob sich Kuratoren so anstrengen würden, das neue »Skulpturobjekt« zu feiern. Die Nominierungs-Jury etwa bescheinigte Creed »außergewöhnliches Talent«. Die Kugel rege dazu an, über das tägliche Leben nachzudenken. »Wie oft haben wir nicht schon gedankenlos ein Blatt Papier zusammengeknüllt und in den Abfall geworfen?« Als ein von Menschenhand gemachtes Objekt, das irritieren soll und tatsächlich irritiert, das vielleicht einen Reflektionsvorgang über das leichtfertig Weggeworfene, über die gedankenlose Motorik der zerknüllenden Hand oder über die Verwandlung des Zwei- hin zum Dreidimensionalen auslöst, muss man »Work #88« sicherlich der Welt der Kunstwerke zuordnen. Zwar ist es nicht auratisch aufgeladen - es sei denn, man bezeichnet etwa einen Basketball, der durch die Finger des neuen amerikanischen Stars Allen Iverson glitt, auf Grund der Berührung durch eine Person des öffentlichen Interesses ebenfalls als auratisch aufgeladen. Creeds Papierkugel ist kein Unikat; er legte bereits eine Kleinserie von 150 Stück auf und soll an einer weiteren arbeiten. Aber Kunstwerke müssen keine Unikate sein; das lehrte uns - wenn wir nicht bereits durch die niederländischen Malmanufakturen des 17. und 18. Jahrhunderts sensibilisiert wurden - spätestens Marcel Duchamp. Auch ist es fraglich, ob man »Work #88« besitzen, gar 6000 Mark dafür ausgeben muss. Aber es vermag, uns innehalten zu lassen und einen Moment über unser schnelles postmodernes Leben nachzudenken. Und nicht zuletzt ist es ein Kunstwerk, weil es von der Maschinerie, die Kunstwerke generiert, als ein solches anerkannt wird. Wenn alle Kriterien zur Bestimmung von Kunst unsicher und relativ geworden sind, dann bleibt dieser selbstreferentielle Zirkel als letzte allgemeine Vereinbarung gültig. Was sich in einem Museum oder einer Galerie befindet und nicht zur Infrastruktur gehört (etwa Feuerlöscher, Luftfeuchtigkeitsmesser, Überwachungskamera oder der Stuhl für die Aufsicht) muss demzufolge Kunst sein. Die Ausstellung »Wertwechsel« im Museum für Angewandte Kunst in Köln versucht zu ergründen, wie sich der Wert eines Kunstwerks ermitteln lässt. Vor allem möchten die Organisatoren Susanne Anna, Wilfried Dörstel und Regina Schultz-Möller erkunden, welchen Wandel die Kriterien der Wertzuschreibung erfahren haben. Dazu haben sich die Museumsmitarbeiter in Zusammenarbeit mit dem Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels eine neckische Apparatur ausgedacht. In die ständige Sammlung von Kunsthandwerk und Inneneinrichtung vom Mittelalter bis zur Gegenwart werden vor allem Kunstwerke des 20. Jahrhunderts integriert. So steht Andy Warhols Seifenkiste neben gotischen Hängeschränken und Stühlen, Georg Herolds Keilrahmen neben kostbaren Wandteppichen der Renaissance oder eine Verpackungsarbeit von Christo neben blau schimmerndem Westerwälder Steingut. In diesen - historisch und ästhetisch fernen - Räumen macht sich eine Generaldifferenz bemerkbar. Die Produktion des Kunsthandwerks erfordert Zeit und spezielle Kenntnisse. Sie ist eingebunden in eine Tradition der Meisterschaft. Die neueren Kunstwerke hingegen sind Ausdruck einer Idee; die Einzigartigkeit liegt im Gedanken - der sich allerdings auch in einen kulturellen Kontext einbetten lässt. Die Produktionstechnologien jedoch sind allgemein zugänglich, eine Nachahmung erfordert wenig oder kein Spezialistenwissen. In den chronologisch späteren Räumen deutet sich eine Konvergenz von Kunsthandwerk und Kunst an. Martin Kippenbergers Ensemble aus einem monochromen Bild von Gerhard Richter und einem prunkvollen Barockschreibtisch ist Beleg für die Spannung, die sich zwischen »edlen« Objekten aufbaut. Als Elemente der Inneneinrichtung verleihen sie dem Raum einen Glanz, der auf den Besitzer/Benutzer zurückstrahlt. Am augenfälligsten wird diese Konvergenz im Saal der Wiener Sezessionisten. Elegante Büromöbel verbinden sich mit vergoldeten Bildträgern (Heribert Ottersbach) und schwarzen Gedichttafeln (Marcel Broodthaers) zu einem stilvollen Arrangement. Eine überraschende Kreuzung stellt sich im Pallenberg-Saal her. Jeff Koons süßliche Porzellanfiguren scheinen direkte Abkömmlinge der vor Kitsch schier überbordenden Ziervasen aus dem 19. Jahrhundert zu sein. In anderen Räumen befinden sich Briefe verschiedner Künstler, die über Preise, Preisbildung und Verkäufe Auskunft geben. Ebenfalls sind Expertisen ausgestellt, jene Dokumente, die den Wert eines Werkes erst ermitteln. Weitere Fixpunkte der Ausstellung sind eine Formel, die den Ruhm eines Künstlers ermitteln soll sowie der »Mann mit dem Goldhelm«. Einst als Rembrandts Meisterwerk gefeiert (und als solches ins quizfähige Allgemeinwissen aller nachfolgenden Generationen aufgenommen) hat es sich jüngst als nicht von des Meisters Hand gemalt herausgestellt und ist nun Beispiel für einen Wertverlust. Man muss der Ausstellung zugute halten, dass sie brav viele Aspekte der Wertermittlung von Kunstwerken sowie Strategien der Wertsteigerung dokumentiert. Aber die Konfrontation jüngerer Kunstwerke mit meist älteren kunsthandwerklichen Objekten erhellt diese Mechanismen nur selten. Sie führt eher auf die Fährte des geschmäcklerischen Vergleichs nicht zu vergleichender Gegenstände. Zu unterschiedlich sind die Bewertungsverfahren beider Klassen von Objekten; treten beim Kunsthandwerk historische, kulturelle und technologische Aspekte in den Vordergrund, so überwiegen bei den anderen ästhetische und publizistische. Wie so oft stellt sich der begleitende Katalog als die tiefgründigere Alternative der Wissenvermittlung heraus. Dirk Baecker weist hier auf die grundlegende Paradoxie der Wertbestimmung hin. Es soll etwas verglichen, tendenziell gleich gemacht und gleichzeitig dem Vergleich entzogen werden. Wer die Einmaligkeit eines Erlebnisses ausdrücken will, greift, so Baecker, »doch zu den Bildern des Göttlichen, der unvergleichlichen Rose oder einzigartiger sinnlicher Leidenschaft.« Michael Hutter entwickelt in Auseinandersetzung mit Adam Smith die Differenz »value« und »valeur«. Das (französische) »valeur« leite sich vom lateinischen »valere« - »stark sein« ab und bezeichne den inneren, den »intrinsischen« Wert einer Sache. Das (englische) »value« hingegen vermischte sich mit dem »worth« der angelsächsischen Bevölkerung und bezeichne den von außen zugeschriebenen, im Vergleich erzeugten Wert. Quer dazu lässt sich nun das Gegensatzpaar Tauschwert und Gebrauchswert denken; der Gebrauchswert, der bei der Anwendung eines Gegenstandes in seinem engeren Kontext der Nutzung ermittelt wird sowie der Tauschwert, der sich aus der im Gegenstand steckenden Arbeit ergibt sowie das Verhältnis zu anderen Tauschwerten, also der Marktsituation. Somit hätten wir drei Kategorien von Wert, die sich auf ein Kunstwerk anwenden lassen: den »intrinsischen« Wert, der allein im zweckfreien Genuss bei der Betrachtung eines Werkes liegt und in der angestoßenen, noch nicht durchkapitalisierten Reflexion; den Gebrauchswert, der in Verschönerungs- und Prestigeaspekten angesiedelt werden kann sowie den Tauschwert, den die Institutionen des Kunstmarkts ermitteln. Wie Letzteres geschieht, erläutert u.a. Andreas Wolf anhand der Erstellung von Werkverzeichnissen. Museum für Angewandte Kunst, An der Rechtsschule, Köln: We...

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