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Stolpern und Nachdenken
In Hohen Neuendorf wurden die ersten Gedenksteine für Nazi-Opfer verlegt
Seit gestern glänzen in Hohen Neuendorf die ersten Stolpersteine im Gehweg. Zwei dieser Messingwürfel des Kölner Künstlers Gunter Demnig wurden in der Birkenwerderstraße 4 eingesetzt, ein weiterer in der Erdmannstraße 4. Sie erinnern an das jüdische Ehepaar Georg und Ernestine Jacks, die 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden und deren Sohn Hermann, der 1943 in Auschwitz starb.
Ermöglicht wurden die Steine von engagierten Schülern des Marie-Curie-Gymnasiums und vom Kulturkreis Hohen Neuendorf. Während einer Projektwoche im Februar beschäftigten sich 20 Schüler der Klassen 7 bis 11 mit der Familie. Im Anschluss stöberten sie weiter in Archiven und führten Interviews. Ruth Winkelmann, die Tochter des ermordeten Hermann Jacks, kam einen ganzen Tag an die Schule, um vom Schicksal ihrer Angehörigen zu berichten. »Das war beeindruckend«, erzählt die 17-jährige Michelle. »Es gab Momente, da hatten wir echt Tränen in den Augen.«
Bei der feierlichen Verlegung der Erinnerungssteine in Anwesenheit von über 100 Menschen ist es Ruth Winkelmann, deren Augen feucht werden. Während der Gedenkminute schaut die 81-Jährige unentwegt auf das Foto ihrer Großeltern, das vor dem Hauseingang aufgestellt ist. Die Familie Jacks lebte seit 1492 in Berlin. Georg Jacks war Kaufmann und während des Ersten Weltkriegs erblindet. 1923 zog er mit seiner Frau Ernestine, einer geborenen Kohls, nach Hohen Neuendorf in die heutige Birkenwerderstraße. Sie wurden Besitzer eines Schrotthandels, dessen Leitung vor allem in Ernestines Händen lag. Die beiden hatten acht Kinder. Ihr Sohn Hermann Jacks wohnte nur wenige Straßen entfernt. 1939 mussten die Jacks aus ihrem geräumigen Haus in eine enge Berliner Ein-Zimmer-Wohnung umziehen. Von dort wurden sie in den Tod geschickt.
Die Erinnerung an die Opfer müsse wach gehalten werden, betonte Bürgermeister Klaus-Dieter Hartung (LINKE). Jeder solle hier stolpern und einen Moment über das Geschehene nachdenken.
Derzeit werden in mehreren Orten Brandenburgs Stolpersteine verlegt. Am Dienstag erhielt Potsdam neun, in Oranienburg wurden gestern vier neue Stolpersteine verlegt.
Auch Hohen Neuendorf möchte in den kommenden Jahren am liebsten noch fünf weitere Stolpersteine einweihen. Das nächste Projekt wird mit der Hugo-Rosenthal-Schule stattfinden, erzählt Petra Schmidt vom Projekt »Stolpersteine« des Kulturkreises. Jugendliche in die Geschichtsarbeit einzubeziehen, sei »das Allerwichtigste«.
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