• Thema: Politisches Unrecht

Im Schatten der Nachkriegsgeschichte

Politische Opfer des Kalten Krieges warten immer noch auf Rehabilitierung und Entschädigung

  • Hans Canjé
  • Lesedauer: 6 Min.
Thema: Politisches Unrecht: Im Schatten der Nachkriegsgeschichte

»Da muss mir etwas entgangen sein«, sagt Karl Stiffel. Der 81-jährige gelernte Kunst- und Bauschlosser ist ehrenamtlicher Sprecher der im Spätherbst 1968 gegründeten »Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges« (IROKK). In der Zeitung hat er gelesen, der Rechtsexperte und Parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck, habe es für »unangemessen« gehalten, dass die frisch gewählten Abgeordneten der Partei DIE LINKE nach den Landtagswahlen am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen im Sondierungsgespräch mit der SPD und den Grünen die DDR zwar als »Diktatur« anerkannten, aber auch die Verfolgung von Kommunisten in Westdeutschland zum Gesprächsthema machen wollten. Beck räumte dabei zwar ein, dass auch Kommunisten »in der Bundesrepublik Unrecht erlitten. Die Verfolgung in den Adenauerjahren war ein schwerer Fehler«. Doch sei dieser Fehler im »System korrigiert und die Opfer bereits entschädigt worden«. Das sei, so der Grünen-Experte, »ein wichtiger Unterschied zur DDR. Da musste erst ein System zusammenbrechen, ehe die Opfer rehabilitiert und entschädigt wurden«. Im demokratischen Rechtsstaat könne man zwar, so wird Beck zitiert, Fehler machen. »Aber die Gerichte und Parlamente können diese Fehler wieder korrigieren.«

Kriminalisierung durch Strafrecht

Das ist der Punkt, an dem Karl Stiffel meint, ihm sei da wohl irgendwie entgangen, wann und wie »Gerichte und Parlamente diese Fehler« wieder korrigierten. Er kennt sich aus in der Materie. Im Februar 1958 ist er von der Politischen Sonderstrafkammer des Landgerichts Lüneburg wegen »Zuwiderhandlung gegen das KPD-Verbot« vom 17. August 1956 als »Rädelsführer in einer verfassungsfeindlichen Organisation« zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden. Von den acht Monaten Untersuchungshaft waren ihm wegen »Uneinsichtigkeit« nur vier Monate angerechnet, so dass die Gesamtstrafe 22 Monate betrug. Von Rehabilitierung oder gar Entschädigung für erlittenes Unrecht hat er nie etwas vernommen. Nie hat sich ein Lüneburger Richter dafür entschuldigt, dass ihm bei der Strafzumessung erschwerend angelastet worden ist, dass bereits sein Vater schon wegen Hochverrat zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden ist.

In der Hoffnungsstraße der Ruhrgebietsstadt Essen verwaltet er ein mit Hilfe zahlreicher Helfer zusammengetragenes, in dieser Art einmaliges Archiv. In zahlreichen, bis an die Decke gefüllten Regalen lagert hier die wohl umfangreichste Sammlung von Urteilen, die in den Jahren von 1951 bis 1968 von Politischen Sonderstrafkammern der BRD verhängt wurden. Sonderstrafkammern dieser Art hatten die Alliierten nach 1945 eigentlich verboten. In der BRD wurden sie aber, nachdem der Bundestag am 9. Juli 1951 das »1. Strafrechtänderungsgesetzes« verabschiedet hatte, wieder gebildet.

Das Gesetz, so das Urteil des Professors für Öffentliches Recht Alexander von Brünneck, »war eindeutig gegen Kommunisten gerichtet (...) Das neue politische Strafrecht kriminalisierte auch solche politische Betätigungen von Kommunisten, die nur möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt eine Gefahr für den Staat heraufbeschwören könnten (...) Auf die Art und Weise der politischen Aktivität kam es gar nicht an, wenn sie nur von Kommunisten ausging. Die Anknüpfungspunkte reichten vom Tragen einer roten Nelke am 1. Mai bis zur Einzelkandidatur bei Wahlen oder der Organisierung von offiziellen Reisen in die DDR.«

»Ein Polizeistaat ohne Beispiel«

So waren dann von den Urteilen der Sonderkammern bei den Oberlandesgerichten und beim Bundesgerichtshof in den Jahren bis 1968 Frauen und Männer betroffen, die vornehmlich wegen ihres Widerstandes, sei es gegen die Wideraufrüstung der BRD, die Wiederindienststellung ehemaliger Gefolgsleute des NS-Regimes oder gegen die als entspannungsfeindlich betrachtete Ost- und Deutschlandpolitik der Bundesregierungen in die Fänge des Verfassungsschutzes und der politischen Justiz geraten waren. Gesichert sind diese Zahlen: Nach rund 125 000 Ermittlungsverfahren, in die mindestens 250 000 Bürger einbezogen waren, kam es zu rund 10 000 Verurteilungen. Dabei wurde am 4. Juni 1955 vom politischen Sondersenat des Bundesgerichtshofes gegen den kürzlich verstorbenen ehemaligen nordrhein-westfälischen KPD-Landtagsabgeordneten und FDJ-Vorsitzenden Josef (Jupp) Angenfort mit fünf Jahren Zuchthaus wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« das höchste Urteil in einem politischen Prozess der Nachkriegszeit ausgesprochen.

Werner Maihofer (FDP), von 1974 bis 1978 Bundesinnenminister, sprach angesichts dieser Größenordnung von »Zahlen, die einem Polizeistaat alle Ehren machen«. Das seien Tatbestände, »für die es in keinem westeuropäischen Staat ein Beispiel gab«, urteilt Rechtsanwalt Diether Posser, Verteidiger in zahlreichen politischen Prozessen und zeitweilig Justizminister in Nordrhein-Westfalen.

Keiner der Verurteilten, sagt Karl Stiffel mit Verweis auf die Akten in seinen Regalen, ist rehabilitiert, keiner wurde für erlittene Haft entschädigt. Alle diesbezüglichen Bemühungen, der PDS- resp. Linksfraktion in den Legislaturperioden des Bundestages seit der Ausdehnung des »demokratischen Rechtsstaats« auf ganz Deutschland, diese »Fehler« durch Gerichte und Parlamente wieder zu korrigieren, sind bislang gescheitert. Die jeweiligen Parlamentmehrheiten haben immer wieder in ganz großer Koalition von CDU/CSU, FDP und SPD bei Stimmenthaltung der Grünen die Anträge abgelehnt oder auf die lange Bank der Ausschüsse verwiesen Im Ungeist des Kalten Krieges wurden die Betroffenen als »Kollaborateure« abqualifiziert, die entsprechend den »rechtsstaatlichen« Normen abgestraft worden seien und keinerlei Ansprüche zu stellen hätten.

Dabei fordern die Anträge exakt das, was Volkmar Beck als im »System« bereits erledigt angibt und es auch darum für »unangemessen« hält, wenn die nordrhein-westfälischen LINKEN daran erinnerten, dass, um hier den Politikwissenschaftler Joachim Perels, Hannover, zu zitieren, »die strafrechtliche Judikatur gegen Kommunisten« nach den »rechtsstaatlichen demokratischen Kriterien des Grundgesetztes eine Anomalie« war. Diese Anomalie, wenn auch spät, wenigstens anzuerkennen, forderte die LINKE schon in ihrem in der vergangenen Legislaturperiode eingebrachten und unerledigten Antrag (Bundestagsdrucksache 16/3934) »Unrecht des Kalten Krieges wiedergutmachen«. Darin wurde die Bundesregierung aufgefordert, »unverzüglich in einer geeigneten Form zu einer Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges in Deutschland beizutragen« und Regelungen vorzulegen, »die den betroffenen Menschen eine materielle Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht gewährt«.

Handlungsbedarf ist gegeben

Mit ihrem Antrag »Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgung« (Bundestagsdrucksache 16/7950) wollte die LINKE, so deren Abgeordneter Jan Korte am 30. November 2006 im Bundestag, »ein besonderes moralisches Unrecht aufheben helfen«. Diesem Ziel dient auch ein neuer Antrag der Linksfraktion (siehe Dokumentation). Es geht um die Kommunisten, die in den Jahren des Faschismus wegen ihres Widerstandes im Zuchthaus oder Konzentrationslager zubringen mussten und nach dem KPD-Verbot erneut Opfer der politischen Justiz wurde. Zu den Haftstrafen kam oft die Aberkennung der Entschädigung für in faschistischer Haft erlittene gesundheitliche Schäden; bereits erhaltene Beträge mussten zum Teil zurückgezahlt werden. Auch deren Rehabilitierung steht aus wie auch die geforderte Revision des Bundesentschädigungsgesetzes, wonach derjenige von Entschädigungsleistungen ausgeschlossen wird, der die »freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetztes« bekämpft habe.

Handlungsbedarf ist also dringend gegeben. Nicht nur, weil nur noch wenige der Betroffenen leben. Auch weil dieser Tatbestand endlich aus der Welt geschafft werden muss, den Joachim Perels so beschreibt: »Die rechtsstaatlich nicht begründbare, dem Gleichheitssatz widersprechende Behandlung von Kommunisten in der Strafjustiz der Bundesrepublik zeugt von einem Skandalon, deren Opfer bis heute im Schatten der Nahkriegsgeschichte stehen.«

Unser Autor wurde im Oktober 1963 wegen »Zuwiderhandlung gegen das KPD-Verbot« vom Politischen Sondersenat des Bundesgerichtshofes zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt. Von einer Rehabilitierung oder Entschädigung für die erlittene Haft (27 Monate) ist ihm nichts bekannt.

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