Die andere Welt im Kopf

Auch der Erfolg eines Films über ein schizophrenes Mathe-Genie hat wenig an den vielen falschen Vorstellungen über die Krankheit geändert

  • Evelyn Hauenstein
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.
Ein deutscher Student, der gerne mal mit psychedelischen Drogen experimentiert, und ein zugleich arroganter und brillanter amerikanischer Wissenschaftler - auf den ersten Blick haben Luke und John nichts gemeinsam. Und doch leiden die Hauptfiguren der Erfolgsfilme »Das weiße Rauschen« und »A Beautiful Mind« unter der gleichen Krankheit: Beide sind schizophren. Psychische Krankheiten werden derzeit als cinéastisches Thema offenbar wieder attraktiv. Das überrascht: Denn die Krankheit Schizophrenie und die davon Betroffenen haben ein nicht allzu positives gesellschaftliches Image. Eine amerikanische Studie hat zum Beispiel gezeigt, dass in den zur Hauptsendezeit ausgestrahlten Fernsehprogrammen 70 Prozent der psychisch kranken Charaktere als gewalttätig porträtiert werden. Die Vorstellung, dass Schizophrenie unheilbar oder gar ansteckend sein könnte, hält sich ebenfalls hartnäckig in manchen Köpfen. Mit vielen Mythen konnten wissenschaftliche Studien inzwischen aufräumen: An Schizophrenie erkrankte Menschen sind weit häufiger Opfer von Missbrauch und Gewalt als selbst die Täter. Schizophrenie ist nicht unheilbar. Bei jedem fünften Patienten bleibt es bei einer einzigen schizophrenen Episode im Leben. Und: Mit der psychischen Krankheit, an der rund 800000 Menschen in Deutschland leiden, können andere sich definitiv nicht anstecken. Zwar wissen Forscher noch wenig über die Ursachen, eines aber ist klar: Schizophrenie entsteht immer durch ein Zusammenspiel vieler verschiedener Faktoren, »den Auslöser schlechthin« gibt es nicht. Fest steht, dass bei Schizophrenen der Botenstoff Dopamin im Gehirn in so übermäßig hohen Konzentrationen vorliegt, dass das Gehirn in einen hyperaktiven Zustand versetzt wird. Doch woher das Zuviel kommt, ist unbekannt. Forscher haben das menschliche Erbgut auf der Suche nach einem »Schizophrenie-Gen« durchkämmt - das sich bisher allerdings nicht aufspüren ließ. Das hat eine aktuelle Studie in der US-Wissenschaftszeitschrift »Science« soeben erneut bestätigt: Bonner Psychiater stellten fest, dass sich auf dem kurzen Arm von Chromosom 1 höchstwahrscheinlich doch kein »Kandidatengen« für Schizophrenie befindet. Bisher vermuteten Wissenschaftler, dass sich in dieser DNA-Region eine Erbanlage befinden könnte, die für den Ausbruch der Krankheit mitverantwortlich ist. Als mögliche Einflussfaktoren auf die Entstehung von Schizophrenie wurden auch schon Viruserkrankungen, Vitamin-D-Mangel beim Fötus, Gehirnschäden durch Sauerstoffmangel bei der Geburt und Ernährungsgewohnheiten diskutiert. Möglich ist vieles, sicher ist nichts - denn »Schizophrenie ist kein einheitliches Krankheitsbild wie aus dem Bilderbuch«, erklärt Hinderk Emrich, Psychiater an der Medizinischen Hochschule Hannover. Schizophrenie-Patienten seien alle völlig verschieden - bei jedem Kranken müsse man einen ganzen Kosmos neu ergründen. Die Veranlagung zur Schizophrenie sei latent in jedem Menschen vorhanden: Unter bestimmten experimentellen Bedingungen wie Schlafentzug, Isolation von der Außenwelt und Einnahme von psychedelischen Drogen würde sich bei jedem Menschen früher oder später schizophrene Symptome entwickeln. »Dabei bedeutet das «schizein» der «phrenes» - die Spaltung der Psyche - nicht so sehr die innere Spaltung des Bewusstseins in mehrere Aspekte«, betont Emrich, »sondern vor allem das Abgespaltensein von den anderen, die Unüberwindbarkeit der Barriere von Ich und Du.« Obwohl die Institution Psychiatrie ein möglicherweise noch schlechteres Image hat als psychisch Kranke selbst, ist und bleibt sie nötig, um Leiden wie die Schizophrenie zu behandeln - sonst ist eine Rückkehr der Kranken in den Alltag kaum möglich. Die tragende Säule der Therapie sind nach wie vor Medikamente. In den fünfziger Jahren wurde erstmals Haloperidol verwendet: Der »Klassiker« unter den Psychopharmaka greift so in die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen ein, dass die Stimmen im Kopf zumindest vorübergehend verstummen. Dafür nimmt der Patient seine Umwelt nur noch wie durch Watte wahr; die Nebenwirkungen können schwer sein, bis hin zu irreversiblen Bewegungsstörungen. Inzwischen ist eine Anzahl neuer - so genannter »atypischer« - Psychopharmaka entwickelt worden, die zum Teil besser verträglich sein sollen. Objektive Studien zu diesen »Atypika« sind allerdings Mangelware: So warnte der britische Psychiater John Geddes von der Universität Oxford kürzlich vor dem übergroßen Einfluss der Pharmaindustrie auf klinische Studien zu Schizophrenie-Medikamenten. In der Tat ist das Marktsegment Schizophrenie hart umkämpft: Es gibt kaum Studien, die nicht von Pharmafirmen finanziert und dadurch in gewisser Weise auch gesteuert werden. Neue Ansätze sind gefragt: »Sich immer nur auf die Beeinflussung von Botenstoffen zu konzentrieren, wird sich auf Dauer als Sackgasse erweisen«, meint Psychiater Emrich. Deshalb fahnden Forscher seit neuestem nach Stoffen, die Nervenzellen vor schädlichen Einflüssen schützen können. Zum Beispiel körpereigene Cannabinoide - Substanzen die an den gleichen Rezeptoren der Nervenzellen wirken wie die Droge Cannabis. Bis zur Entwicklung konkreter neuer Medikamente werden allerdings wahrscheinlich noch Jahre vergehen. In den letzten Jahren haben Familien- und Psychotherapie bei der Behandlung von Schizophrenie enorm an Bedeutung gewonnen. Heute ist eine kunstgerechte Therapie ohne Einbeziehung der Angehörigen nicht mehr denkbar. Studien haben gezeigt, dass ein entspanntes emotionales Milieu den Verlauf einer schizophrenen Erkrankung günstig beeinflussen kann. Wie weit eine »Heilung« möglich ist, bleibt vor allem für die achtzig Prozent der Kranken dahingestellt, die nach der ersten schizophrenen Episode Rückfälle erleiden. Doch selbst wenn die Welt im Kopf nicht verschwindet, ist ein erfülltes Leben mit der Krankheit möglich. Wie bei dem Mathematiker und Nobelpreisträger John Nash, dessen Lebensgeschichte in »A Beautiful Mind« erzählt wird. Ihm gelingt eine »doppelte Buchführung«, indem er die Welt in seinem Kopf mit der Welt um ihn herum in Einklang bringt und daraus kreatives Potenzial schöpft. »Die meisten Schizophrenen leiden jedoch mehr unter ihrer Krankheit, als dass sie daraus einen Gewinn für sich ziehen können«, kommentiert Emrich. Auch Luke aus »Das weiße Rauschen« ist kein »Modellkranker«. Am Ende des Films sitzt er am Strand und lauscht dem Rauschen des Meeres, unendlich weit weg von seinem Alltag, von der Klinik, von der Krankheit. Schizophrenie sei nur die Folie für die eigentliche Frage, die der Film stelle, meint Hinderk Emrich, der den Regisseur fachlich beraten hat. »Was bedeutet es, in seiner eigenen Subjektivität gefangen zu sein? Wie finde ich den Weg ins Freie?« Fragen, die jedes menschliche Wesen sich stelle...

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