Zuhören statt wegschließen

Experten halten nichts von Geschlossenen Heimen für junge kriminelle Flüchtlinge

  • Nissrine Messaoudi
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie sind jung und schon auf sich allein gestellt. Junge Flüchtlinge haben in ihrem kurzen Leben einiges durchgemacht. Viele von ihnen sind vor Krieg und Armut geflohen und suchen in Deutschland ein besseres Leben. 152 unter 16-Jährige kamen 2009 nach Berlin, die Zahl der 16- bis 17-Jährigen belief sich auf 61, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungsnahme der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung auf eine Kleine Anfrage der CDU-Abgeordneten Emine Demirbürken-Wegner. Insgesamt seien zur Zeit 556 Asyl suchende Kinder in Heimen oder ähnlichen Wohngemeinschaften untergebracht.

Viele von ihnen versuchen sich ein neues Leben in Berlin aufzubauen. Einige jedoch geraten auf die schiefe Bahn. Auf sie richten sich derzeit alle Augen. Angestoßen von dem Buch »Das Ende der Geduld« der kürzlich verstorbenen Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig ist jetzt eine Debatte entfacht um minderjährige Asyl- suchende aus arabischen Ländern, die als Drogendealer missbraucht werden.

Ein Elfjähriger sei bereits elf Mal als Drogenkurier erwischt worden, sagte Harald Chybiak, der Leiter des Rauschgiftdezernats beim Landeskriminalamt, am Montagabend im RBB. Da es sich um Kinder handele, die noch strafunmündig sind, seien Polizei und Justiz machtlos. Die CDU-Abgeordnete Demirbürken-Wegner wirft dem Senat deshalb »versammelte Untätigkeit« vor. »Der Integrationsbeauftragte schweigt, Nußbaum streicht die Mittel, Zöllner negiert das Problem und Wowereit verweist auf die Bezirke«, so die Abgeordnete.

Zusammen mit der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und Innensenator Ehrhart Körting (SPD) plädiert sie für »geschlossene Heime«, wo kriminelle Kinder besser kontrolliert würden. Dabei gehe es nicht darum, »sie wegzuschließen«, so Körting. Maßgeblich sei, dass sie nicht wegkönnten und pädagogisch betreut würden.

»Eine geschlossene Anstalt kann nicht die Antwort auf dieses Problem sein«, versicherte Khaled Omari von »Jugendliche ohne Grenzen« gegenüber ND. Seit rund 20 Jahren hat der Sozialarbeiter mit Flüchtlingen vorwiegend aus arabischen Ländern zu tun, die rund zwölf Prozent der jungen Flüchtlinge ausmachen – fast die Hälfte der Kinder kommt aus Vietnam.

»Ich kenne arabische Flüchtlinge, die hier Abitur gemacht haben. Über die redet leider keiner«, so Omari. Leugnen könne man das Problem krimineller Jugendlicher allerdings nicht, »es handelt sich dabei um wenige, das sollte jedoch klar sein«. Bevor man irgendwelche Maßnahmen fordere, müsse man sich die Lebensgeschichten der Flüchtlinge anhören und versuchen, sie zu verstehen. »Kinder, die beispielsweise aus Libanon geflohen sind, sind traumatisiert und kennen nur Krieg. Viele davon haben nie eine Schule besucht und sind Analphabeten«, weiß Omari. Eine intensive Betreuung in Zusammenarbeit mit Menschen, die sich mit den jeweiligen Kulturkreisen auskennen, bringe mehr als »Freiheitsberaubung« oder die sofortige Forderung des Jugendamtes nach Einschulung.

Viel Zeit, sich in ihrer Umgebung einzuleben, gibt man den Kindern tatsächlich nicht. Nach ihrer Ankunft werden sie von der Clearingstelle im Bezirk Steglitz-Zehlendorf aufgenommen. Dort verweilen sie – nach einem medizinischen Gutachten, das ihr Alter feststellen soll – in der Regel drei bis vier Monate, bevor sie ans Jugendamt oder an einen Vormund übergeben werden. »Dann wird erwartet, dass sich die Jugendlichen öffnen und sich der Gesellschaft anpassen«, sagte Omari. Dies sei jedoch kaum möglich, wenn man sich vor Augen halte, was die Kinder durchgemacht haben.

An Vorschlägen mangelt es indes nicht. Statt Pauschalverurteilungen und Ideen von geschlossenen Heimen in die angeheizte Debatte zu werfen, solle man einen runden Tisch bilden, meinte Frank Ramthun vom Verein »WeGe ins Leben«, der sich unter anderem um junge Flüchtlinge kümmert. Polizei, Justiz, Jugendamt, aber auch Flüchtlingsverbände, die sich mit der Thematik auskennen, »sollten zusammen konstruktive Ansätze finden, die dem Kindeswohl langfristig dienen«, so Ramthun. Ein streng kontrolliertes Heim allein könne dies nicht leisten. Damit könne man vielleicht nur die Kriminalstatistik aufbessern.

Intensivtäter im Kindesalter

Die Berliner Polizei hat derzeit sechs Kinder als sogenannte Intensivtäter erfasst. Fünf davon sind auch als Drogenhändler bekannt. Ihr Strafregister reicht von Beleidigung über Ladendiebstahl, Straßenraub, Drogenhandel bis zu gefährlicher Körperverletzung.

Für ihre Delikte können sie nicht bestraft werden, weil Kinder im Sinne des Gesetzes erst mit der Vollendung des 14. Lebensjahres strafmündig werden. Als Intensivtäter gilt, wer mit mindestens zehn Straftaten innerhalb eines Jahres registriert wird. Kindliche Intensivtäter in Berlin laut Polizei pro Jahr: 2006: 6 2007: 2 2008: 3 2009: 5 2010: 6 dpa

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