Keine 200 Euro für 27 rosa Latschen

Kriegsgegnerin verteidigt Aktion gegen Verteidigungsminister als Bürgerpflicht

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Peter Kirschey in Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey in Berliner Gerichtssälen

Es gibt Tage, die die Welt erschüttern. Katastrophen, soziale Eruptionen oder politische Skandale. Der 30. Juni 2009 war so ein Tag. Da gab es, von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt, einen verabscheuungswürdigen Anschlag auf den deutschen Verteidigungsminister. Jung hieß der damals. Nicht irgendwo in irgendeinem Krisengebiet, wo der Herr Minister gerade ein Showprogramm absolvierte, nein, im Herzen der deutschen Hauptstadt. Es regnete. Der Zeitpunkt ist recht genau festgehalten. Es geschah um 14.20 Uhr. Eine Flut ging auf den damaligen Vater aller Bundeswehrsoldaten hernieder: Badelatschen, Pantoffeln und Flugblätter. Es traf den Minister völlig unvorbereitet. Er überstand dieses hinterhältige Attentat wahrhaft pantoffelheldisch. Dass auch ein Bläserquintett des Stabsmusikkorps der Bundeswehr, das die Eröffnung musikalisch begleitete, von der Regenwolke stark beeinträchtigt wurde, war später nicht mehr nachzuermitteln.

Anlass der Aktion war die Eröffnung einer Ausstellung im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages »Bundeswehr im Einsatz« zum »15. Jahrestag der Parlamentsmandatierung (Das Lexikon kennt diesen Begriff gar nicht d.A.) von bewaffneten Einsätzen im Ausland« wie es bundesoffiziell genannt wurde. Das heißt: Mit einer Ausstellung wurde der 15. Jahrestag der Absegnung von Kriegseinsätzen durch das deutsche Parlament bejubelt. Und da gibt es eben immer wieder ein paar Querulanten und Stänkerer, die einem die Freude verderben wollen.

Eine von ihnen saß gestern vor dem Amtsgericht Tiergarten vor einer gestrengen Amtsrichterin: Katja, arbeitslos, ledig, Hartz-IV- Empfängerin. Sie und andere hätten mit ihrem Tun die heilige deutsche Hausordnung des Bundestages verletzt, heißt es in einem richterlichen Bußgeldbescheid. 27 rosa Pantoffeln und Badelatschen registrierte die Staatsmacht, die einen gewaltigen Apparat in Bewegung setzte, um die »Tat« vollständig aufzuklären. Keine Kosten wurden gescheut. Dafür soll die Täterin nun 200 Euro zahlen, gewissermaßen als indirekte Unterstützung von Kriegseinsätzen der Bundeswehr.

Da sich Frau Katja in höchstem Maße uneinsichtig zeigte und sich der Zahlung verweigerte, musste nun, so will es das Gesetz, die Amtsrichterin über den Fall entscheiden. Und sie entschied – nicht. Sie vertagte. Weil die Verteidigung beantragt hatte, die Beschuldigte noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens freizusprechen. Die in dem Strafbefehl beschriebene Handlung, begründete die Verteidigerin den Antrag, sei ein Ausdruck freier Meinungsäußerung, und die sei durch das Grundgesetz geschützt. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit sei eines der vornehmsten Rechte in einer Demokratie, so habe es auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Die Hausordnung des Bundestages dürfte nicht über dem Recht der freien Meinung stehen. Horst Köhler, einst Bundespräsident dieser deutschen Republik, habe vor seinem unrühmlichen Abtritt von der politischen Bühne einmal die Wahrheit ausgesprochen: Dass Kriege auch geführt werden, um wirtschaftliche Interessen der Bundesrepublik durchzusetzen. Damit habe er den Kern der Bundeswehreinsätze benannt. Ein Protest gegen eine kriegsverherrlichende Ausstellung sei somit nicht nur legitim, sondern auch Bürgerpflicht.

Dieses war der Amtsrichterin dann doch zu viel, um die Angelegenheit mit einer schnellen Ablehnung einfach vom Tisch zu wischen. Zumal nur 14 Zuhörerplätze erlaubt waren, sich aber doppelt so viele Friedensaktivisten im Saal befanden, die dem Antrag der Verteidigung lebhaft Beifall spendeten. Sie kündigte eine ausführliche Antwort auf den Antrag an – und vertagte. Auf den nächsten Monat.

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