Die Gebrauchsanweisung

Zur Seele: Erkundung mit Schmidbauer

  • Lesedauer: 4 Min.
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München

Wer ein Gerät kauft, findet in der Verpackung ein Heft mit Instruktionen. Es ist oft so umfangreich, dass es den Leser entmutigt, der lieber selbst herumprobiert und seine Erfolgs- wie Misserfolgserlebnisse sammelt. Es heißt, dass jede zweite wegen eines Defekts eingeschickte Videokamera völlig in Ordnung ist – die Nutzer haben sie nur falsch bedient.

Wenn wir den umständlichen, schwülstigen, mit Banalstem überfrachteten Stil der üblichen Anweisungen mit dem schmeichelnden, poetischen Schwung der Werbetexte für dieselben Geräte vergleichen, begegnen wir wieder einmal der Kälte des kapitalistischen Konsums. Im Sozialismus gab es viele Menschen und wenige Dinge, und es hatte immer jemand Zeit, einem alles persönlich zu erklären. Die Konsumgesellschaft geht mit uns um wie Don Juan mit den Frauen: Solange wir nicht im Register stehen, werden wir leidenschaftlich umworben; sind wir dann drin, sind wir nur noch lästig.

Gibt es Gebrauchsanweisungen für Menschen? Ich würde sagen, sie entwickeln sich unterschwellig in jeder Beziehung, die über längere Zeit besteht und gelingt. Wenn wir solche Gebrauchsanweisungen texten wollten, wäre das vielleicht ebenso schwülstig und dicht an der Banalität wie die universellen Warnungen, nicht mit ungeeignetem Werkzeug eine Reparatur zu versuchen, ein Gehäuse nicht zu öffnen, darauf zu achten, dass die Stromversorgung hergestellt und der Apparat eingeschaltet ist. Vielleicht müssten wir sogar Sätze hinzufügen, die so selbstverständlich sind, dass sie in den Bedienungsanleitungen fehlen: Nicht fallen lassen! Bei Fehlfunktion nicht prügeln!

Das führt uns zu der etwas melancholischen Frage, warum Maschinen es oft so viel besser haben als Menschen. Wenn ihr Notebook auf einen Tastaturbefehl nicht reagiert, werden die wenigsten Menschen den Tastendruck steigern und schließlich mit der Faust zuschlagen, weil das Ding doch so funktionieren muss, wie sie es sich vorstellen. Handelt es sich aber um den Liebespartner oder das eigene Kind, neigen viele zu genau diesem Verhalten: Zeigen sie nicht die gewünschte Reaktion, wird der Druck gesteigert.

Der Mann braucht Anerkennung, die Frau will Zuwendung. So lange sie ihn lobt, wie fürsorglich er ist, leidet sie auch keinen Mangel. Vielleicht beschließen dann beide, dass er noch etwas mehr arbeitet und sie ein gemeinsames Kind großzieht. Jetzt beginnt sie, ihn zu kritisieren, dass sie zu wenig Zuwendung bekommt, weil er so viel arbeitet.

Sie versagt ihm die Anerkennung, die er sich im Beruf verschaffen kann. Ein Bedienungsfehler, so klar wie der Versuch, ein Bügeleisen anzuheizen, ohne die Zuleitung einzustöpseln. In der Folge wird der Mann mehr arbeiten und weniger Zeit für seine Frau haben. Diese nörgelt, dass er nicht für die Familie da ist und hofft, auf diesem Weg mehr Zuwendung zu bekommen; er verschwindet in seine Arbeit, wo er sich anerkannt fühlt.

Zwischenmenschliche Bedienungsfehler sind deshalb so verbreitet, weil wir überzeugt sind, das Gerät genau zu kennen, um das es geht. Es trägt die fortschrittlichste Software an Sprachsteuerung in sich, das muss doch funktionieren, wenn nicht, hilft vielleicht Anschreien! Wie gesagt, jeder Laptop wird da besser behandelt; da halten wir es für ausgesprochen primitiv, angesichts einer Fehlfunktion einfach mehr Druck auszuüben.

Es rächt sich nicht nur in Ehen, dass unsere Gebrauchsanweisung für Homo sapiens auf einer narzisstischen Größenphantasie beruht: Seine Majestät das eigene Ich kann alles lenken. Es rächt sich auch an unseren eigenen Knochen und Sehnen, dass die Bedienungsanleitung für den eigenen Körper in einer Zeit getextet wird, in der wir zwischen 16 und 20 Jahren nach den letzten Schritten der Gehirnreifung uns selbst zum Begriff machen.

So bleiben wir geistig ewig jung. Die meisten Verletzungen im Alltag wurzeln darin, dass wir als Fußgänger, Sportler, Radfahrer unsere Kraft und Reaktionsschnelligkeit überschätzen und mit einem inzwischen sehr viel weniger belastbaren Bewegungsapparat so umgehen, als gelte seine erste Gebrauchsanweisung für immer. Wohl dem, der ihre ärgsten Übertreibungen schon vor dem ersten Unfall korrigiert.

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