Terrorabwehr: Wenn Fakten enden, ist Fantasie gefragt

Die Anschläge von New York und Washington, Bushs Feldzug und was deutsche Dienste als Gefährdungsanalyse anbieten können

»Die Anschläge des 11. September 2001 waren ein unvorhergesehenes und in dieser Form wohl auch unvorhersehbares Ereignis, das sozusagen aus dem Nichts einen akuten Handlungsbedarf auslöste.« Das behauptete der Vorsitzende der Ständigen Konferenz der Innenminister in dieser Woche in Bonn.

Kuno Böse, zugleich Bremer Innenchef, war mit dem Versuch, Lob für die Reaktionsgeschwindigkeit der Politik zu ernten, nicht sehr erfolgreich. Denn anders als der Titel vermuten ließ, waren am Dienstag beim 5. Europäischen Polizeikongress in Bonn vor allem heimische Experten zugegen. Und die wussten eben manches besser. Weil es ihre Aufgabe ist, Terror zu bekämpfen, abzuwehren, zumindest aber von Deutschland fern zu halten, entwickeln sie differenzierte Lagebilder. Da man noch immer - was deutschen Nachrichtendiensten und Polizei nur mäßig vorzuwerfen ist - von wenig Fakten ausgehen kann, muss man die realitätsbezogen mit Fantasie auffüllen. Wenn der Bundesnachrichtendienst davon ausgeht, dass Osama bin Laden noch lebt und »weiter als Impulsgeber« fungieren kann, dann sollte man es den Leuten aus Pullach schon glauben. Sie haben - verglichen mit anderen westlichen Diensten - schon immer einen recht guten Zugang zu Quellen in Afghanistan. Sicher ist auch, dass es den USA mit ihrem Krieg nicht gelungen ist, das Netzwerk von Al Qaida - deren Rolle bei den Anschlägen vom 11. September noch immer nur zu ahnen ist - zu zerreißen. Man hat insgesamt 150 Mitglieder getötet oder gefangen. Aus bin Ladens engerem Zirkel erwischte die US-geführte Elite-Allianz - dank pakistanischer Zuarbeit - lediglich einen militärischen Führer: Zubaida. Die restlichen in Afghanistan angesiedelten terrorrelevanten Al-Qaida-Aktivisten zerstreuten sich nicht zuletzt wegen der Unfähigkeit hochgerühmter US-Spezialeinheiten. Die schickten lieber pakistanische Vasallen - die in den vergangenen Jahren US-geordert die Al Qaida ausgebildet hatten, vor. Kein Wunder, dass die Al-Qaida-Leute entkamen, um nun beim »Aufwuchs weitgehend unabhängiger lokaler und regionaler terroristischer Zellen« behilflich sein. Hans J. Beth, zuständiger Abteilungsleiter im BND, klang besorgt, weil die ohnehin »unerschöpflichen Möglichkeiten« des Terrorgeflechts noch unkontrollierbarer geworden sind. Er ist sicher, dass die nun neue Al Qaida nicht nur dezentralisierter sondern auch mit weniger Finanzbedarf operieren kann. Kleine, unkomplizierte Anschläge, wo immer sie passend erscheinen, werden wohl fortan die Regel sein. Dennoch mag der Geheimdienstmann nicht die medial aus den USA nach Europa schwappende Bedrohungsinflation zu bestätigen. Stichwort Massenvernichtungswaffen. Es gebe »keine belastbaren Informationen« über Proliferationsvorgänge in Richtung Al Qaida. Diese Gefahr sieht der BND nicht einmal, wenn er den von den USA ausgewählten nächsten Kriegsgegner Irak betrachtet. Ein Al-Qaida-Besitz oder eine Eigenentwicklung von Atomwaffen ist nach BND-Erkenntnissen ausgeschlossen. Auch seien keine Diebstähle gemeldet. Maximal kann man sich »schmutzige« Bomben als das Zerstäuben von radioaktivem Material in einem begrenzten Umfeld vorstellen. Falls Al Qaida über B- oder C-Waffen verfügen sollte, wofür es außer gewissen US-Entdeckungen in Afghanistan keine wirklichen Belege gibt, wären sie nur gegenüber »kleinen Einrichtungen« praktikabel- jedoch mit großer psychologischer Wirkung. Der einzige, wirkliche Beitrag zu einer sicheren Welt wäre die Schaffung einer besseren Welt, betonte Beth. Er zitierte damit eigentlich den US-Präsidenten Bush - und liegt doch nahe bei der Argumentation der Friedensbewegung und der Globalisierungsgegner. Letztere bereiten dem Verfassungsschutz Sorgen, weil »linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste Organisationen« versuchen, Einfluss auf Gruppen wie ATTAC zu erlangen. Diese 1999 in Frankreich gegründete Bewegung habe in Deutschland bereits 3000 Anhänger und erhalte »durch die Ereignisse in Afghanistan und im Nahen Osten weiteren Zulauf«, betonte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm. Auch er warnte vor einem »Mujahedin«-Netzwerk, das »wohl nicht sehr engmaschig« ist, sich aber über alle Kontinente erstrecke. Fromm unterstrich abermals, »der Nahost-Konflikt bietet...immer wieder ein Motiv zur Polarisierung angeblich unüberbrückbarer Gegensätze zwischen arabischen und westlichen Interessen«. Zum deutschen Top-Terror-Abwehr-Trio gehört auch das Bundeskriminalamt, durch dessen Fleiß der Generalbundesanwalt 30 Ermittlungsverfahren in Sachen Terrorismus eingeleitet hat. Der erste BKA-Direktor Manfred Klink lobte in Bonn zwar die durch die Sicherheitspakete 1 und 2 gesetzlich, materiell und personell gesteigerten Möglichkeiten der Behörden sowie die verbesserte Zusammenarbeit mit den Ländern. Lob zollte er auch dem »Information Board«, in dem BND, Verfassungsschutz und BKA permanent Erkenntnisse tauschen - womit übrigens bereits im Sommer, also bevor die Terrorflieger starteten, begonnen wurde. Klink sprach aber auch über die Endlichkeit von Ressourcen. Trotz wachsender Organisierter Kriminalität haben man zur Terrorabwehr Umgruppierungen vornehmen und neue Schwerpunkte setzen mü...

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