Uniformknöpfe als Souvenir

Die Hauptmann-Garde spielt zweimal wöchentlich die »Köpenickiade« vor dem Rathaus

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Garde im Anmarsch
Die Garde im Anmarsch

Der Hauptmann von Köpenick ist allgegenwärtig. Schon auf dem Weg in die Köpenicker Altstadt grüßt er von Plakaten. Wenn man dort ist, lernt man ihn sogar persönlich kennen: Mittwochs und sonnabends spielt er mit seiner Garde am Originalschauplatz die »Köpenickiade« nach. 1000 solche Auftritte haben die Kostümierten in den vergangenen zehn Jahren absolviert. Auf den ersten Blick ist es immer das Gleiche: Ein korpulenter Herr in dunkelblauer Preußenuniform steht vor dem Rathaus und animiert die Leute zum Stehenbleiben: »Gleich geht es los«, ruft er durch sein Megafon. Aus den Lautsprechern tönt der Radetzky-Marsch, und immer mehr Schaulustige folgen der Einladung. Punkt 11 Uhr ist es soweit. Dann wird das legendäre Ereignis von 1906, bei dem der arbeitslose Schuster Wilhelm Voigt das Köpenicker Rathaus besetzte, den Bürgermeister verhaftete, die Stadtkasse raubte und mit seinem Coup das obrigkeitshörige Preußentum in aller Welt lächerlich machte, nachgespielt.

In einer knappen halben Stunde erleben die Zuschauer hautnah das Straßentheater-Spektakel. Sie sind dabei, wenn der vorbestrafte Schuster in einer Uniform vom Trödler zum Hauptmann von Köpenick wird. Rund 700 Mal ist Heinz Rilefsky schon in die Rolle des bekannten Betrügers geschlüpft. Inzwischen in der dritten Inszenierung. Das jüngste Drehbuch hat der Staatswissenschaftler selbst geschrieben. »Mir kommt es darauf an, historisch-authentische Dinge mit Tragik-Komik zu verbinden«, sagt er. Dabei sei es wichtig, auch die Sprache von einst zu verwenden: »Das Wort ›Stopp‹ gab es damals nicht, ich befehle ›Halt‹«.

Dass die Auftritte nicht jedes Mal identisch sind, liegt auch an der Besetzung. Zehn Aktive gehören zum Hauptmanngarde-Verein. Arbeitsbedingt stehen manchmal weniger Darsteller zur Verfügung. »Der neue Zuschauer merkt das nicht«, betont Vereinschef Rilefsky. Stammgäste aber schon: weil die Garde mit weniger Soldaten aufmarschiert und einige Hobby-Schauspieler mehrere Rollen besetzen.

Heinz Rilefsky versucht immer, das Publikum einzubeziehen. Das ging schon mal so weit, dass plötzlich lautstark ein Gast eine Szene bestimmte. Er schrie schmerzhaft auf, als nach dem Befehl »Gewehr ab!« ein Kolben auf seinem Fuß landete. »Wir spielen eben dicht am Publikum und sind praktisch zum Anfassen«, sagt der Hauptmann.

Als der Tourismusverein Treptow-Köpenick im Jahre 2000 das Garde-Projekt initiierte und es schließlich als ABM-Maßnahme startete, wurde die Idee anfangs von einigen belächelt. »Inzwischen sind die Auftritte eine Institution und werden gezielt von Reisegruppen angesteuert«, berichtet Michael Diehl vom Tourismusverein.

Die Hauptmanngarde hat mittlerweile ein festes Quartier in der »Restauration Gardestube«. Dort gibt es auch ein kleines Museum rund um die Hauptmann-Geschichte.

Proben müssen die Laien-Darsteller eigentlich nur, wenn neue Mitstreiter dazu kommen. »Gern würden wir noch mehr Interessenten in den Verein aufnehmen«, erklärt Heinz Rilefsky. Sie sollten aber mindestens 1,70 Meter groß sein: Damit ihnen die teuer angefertigten Uniformen passen. Ganz authentisch sei jede Preußen-Garderobe mit 23 goldenfarbigen Knöpfen bestückt. »Bevor wir uns draußen zeigen, kontrollieren wir gegenseitig, ob alles richtig sitzt«, beschreibt der Hobby-Schauspieler ein Garde-Ritual.

Während der Auftritte passiert es auch, dass Knöpfe abfallen. »Wir finden die aber nie wieder, weil sie offensichtlich bei den Zuschauern als Souvenir sehr begehrt sind«, sagt Rilefsky.

Mittwochs und sonnabends ab 11 Uhr vor dem Köpenicker Ratshaus. Weitere Infos unter 64 16 74 31. Am 16. Oktober gibt es in der Altstadt ein großes Hauptmannfest.

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