Mobbing ist kein Migrantenproblem

Integrationsbeauftragter: »Deutschenfeindlichkeit« ist der falsche Begriff

  • Lesedauer: 4 Min.
Günter Piening ist seit 2003 Beauftragter des Berliner Senats für Integration und Migration. Er ist Mitbegründer eines Flüchtlingshilfevereins in Magdeburg und setzte sich schon vor seiner Funktion als Integrationsbeauftragter gegen Fremdenfeindlichkeit ein. Mit ihm sprach Nissrine Messaoudi.
Günter Piening ist seit 2003 Beauftragter des Berliner Senats für Integration und Migration. Er ist Mitbegründer eines Flüchtlingshilfevereins in Magdeburg und setzte sich schon vor seiner Funktion als Integrationsbeauftragter gegen Fremdenfeindlichkeit ein. Mit ihm sprach Nissrine Messaoudi.

ND: Ein Artikel in der Zeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) über »Deutschenfeindlichkeit« hat erneut eine Debatte um schlecht integrierte Migranten ausgelöst. Ist »Deutschenfeindlichkeit« ein reales Problem an Berliner Schulen?
Piening: Die Verwendung des Begriffs »Deutschenfeindlichkeit« für die dort beschriebenen Phänomene halte ich für sehr problematisch. »Deutschenfeindlichkeit« stammt aus dem rechtsextremen Vokabular. Unabhängig davon gibt es Gründe, warum dieser Begriff unpassend ist. Mobbing auf dem Schulhof hat wenig mit dem Begriff Deutsch oder Nichtdeutsch zu tun, denn viele von denen, die da mobben, sind selbst Deutsche.

Klar, es gibt an Schulen Gruppen, die beleidigt werden, und es gibt darunter auch deutschstämmige Kinder oder Jugendliche, die Probleme haben. Beleidigungen, Ruppigkeit, Ausgrenzungen – so etwas findet an Schulen statt, das ist keine neue Entwicklung. Konflikte, Gruppen- und Cliquenbildung laufen entlang unterschiedlicher Grenzziehungen. Übrigens auch unter den Migrantenkids. Es ist noch gar nicht so lange her, da war vor allem die Gangbildung innerhalb der türkischen und arabischen Szene das Thema der Schulen.

Beschimpfungen wie »Schweinefleischfresser« veranlassen den SPD-Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Busckowsky, den Islam für die »Deutschenfeindlichkeit« verantwortlich zu machen. Teilen Sie diese Ansicht?
Die »Schweinefleischfresser«- Diskussion begleitet uns schon seit 20 Jahren. Das ist nichts Neues. Viele Lehrer, die ich kenne, sagen, das kann ich nicht mehr hören, wir sind doch längst weiter. Das ist eine Beleidigung unter vielen, die in Schulen existieren. Selbstverständlich ist das nicht zu akzeptieren. Aber mit religiöser Haltung hat das wenig zu tun. Leider ist es so, dass Vorurteile und Abwertung anderer zur Normalität unserer Gesellschaft gehören. Und das ist kein Privileg der Migranten. Verschieden Untersuchungen belegen: 42 Prozent aller Europäer halten Homosexualität für unmoralisch. Ein Drittel aller Europäer stimmt voll oder ganz zu, dass es eine natürliche Hierarchie zwischen Schwarzen und Weißen gibt. 50 Prozent aller Menschen in Deutschland wollen nicht mit Türken in einem Haus wohnen. Das heißt, wir haben sehr sehr tiefliegende Ressentiments gegen verschiedene Gruppen, und davon sind Einwanderer nicht ausgenommen.

Wenn Mobbing-Attacken weder kulturell noch religiös verankert sind, was ist das eigentliche Problem?
Ich sage ja nicht, dass das nicht mit eine Rolle spielt. Die Gewichtung der Religion wird in diesem Zusammenhang allerdings sehr überschätzt. Was man dabei nicht aus dem Blick verlieren sollte, ist, dass wir Migranten gewisse Zuschreibungen machen, wie »Du bist der Türke« oder »Du bist der Moslem«. Die Wulff-Debatte zeigt, wie hoch der Widerstand ist, den Islam als einen Teil Deutschlands zu akzeptieren.

Einige Lehrer sehen den Grund für die Attacken in der Perspektivlosigkeit und Chancenungleichheit junger Migranten. Sind das nicht Entschuldigungen, die wir für rassistische Äußerungen oder Gewaltakte deutschstämmiger Jugendliche nicht gelten lassen?
Vor meiner Tätigkeit in Berlin habe ich in Sachsen-Anhalt gearbeitet. Im Zusammenhang mit meiner antirassistischen Arbeit bin ich in Dörfern gewesen, in denen rechte Cliquen sehr stark dominierten. Von der einheimischen Bevölkerung habe ich immer wieder gehört: »Na ja, das ist ein Problem, aber es sind doch unsere Jungs.« Genau hier liegt der Unterschied. Deutsche mit Migrationshintergrund sehen wir nicht als »unsere Jungs« an. Ich dulde nirgendwo menschenfeindliche Gruppen, aber wir müssen sehen, dass wir hier eine zusätzliche Dimension von Ausgrenzung haben, die es beim Umgang mit Rechtsextremismus nicht gibt.

Sind diese Konflikte an Schulen ein Berliner Problem?
Wir sind nicht Paris, wir haben hier keine Aufstände in den Banlieus und wir sind auch nicht Rom, wo im letzten Jahr die Roma-Lager brannten. Das heißt, wir sind verglichen mit den europäischen Metropolen in der Tat ein Ort der Bedächtigkeit. Im Bundesvergleich sieht das anders aus, weil die strukturellen Konflikte, die wir in dieser Gesellschaft haben, in Berlin einfach am stärksten zu spüren sind.

Besonders schwierig ist für mich als Integrationsbeauftragten der Umgang mit immer neuen Negativ-Nachrichten, die alle drei Wochen durch die Stadt gejagt und in den Medien abgefackelt werden. Wir können kaum mehr auf reale Probleme reagieren, sondern nur noch auf Schlagzeilen. Unter diesen Umständen ist es schwierig, eine rationale Politik zu betreiben.

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