Prozess als Rettung geschundener Seelen

52-jähriger Vater wegen sexuellen Missbrauchs seiner zwei Töchter zu einer Bewährungsstrafe verurteilt

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey in Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey in Berliner Gerichtssälen

Quälende Sekunden im Gerichtssaal. In wenigen Augenblicken wird der Vorsitzende Richter das Urteil verkünden. Auf der Anklagebank sitzt der 52-jährige Lothar P., verarmter Frührentner, Vater von vier Töchtern. Ihm gegenüber, auf der Seite der Nebenkläger, seine heute erwachsenen Töchter Jessica und Stefanie, hinten im Saal die ebenfalls erwachsene Tochter Romina, die zu ihrem Vater hält. Anschauen können sie sich nicht, so irren die Blicke aneinander vorbei ins Nichts oder zu den Ornamenten der Decke. Warten auf den erlösenden Spruch des Richters.

Und der lautet, wie vorher zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung verabredet, zwei Jahre auf Bewährung für sexuellen Missbrauch an Kindern, nachdem der Täter das Geschehen in drei Sätzen über seinen Verteidiger eingeräumt hatte. Außerdem muss Lothar P. an drei Opfereinrichtungen je 100 Euro Buße zahlen.

Damit endet ein zweieinhalbstündiger Prozess, der die Tragik einer Familie in drei Jahrzehnten nur andeuten kann. In insgesamt 18 Fällen hat Lothar P. zwischen 1988 und 1996 seine damals minderjährigen Töchter Jessica und Stefanie sexuell missbraucht. Für die beiden Mädchen brach damals eine Welt zusammen, der eigene Vater hatte ihnen ihre Kindheit genommen. Die Angst, dass der »Pappi« wieder ins Kinderzimmer kommen würde, hat sie bis heute verfolgt. Ihr Leben war geprägt von Scheidung der Eltern, Heimen, Pflegefamilien, psychologischen Betreuungen und dem Horror in den eigenen vier Wänden. Viele Jahre haben sie geschwiegen, wollten einfach nur vergessen. Bis der Leidensdruck zu groß wurde, sie es nicht mehr ausgehalten haben und Anzeige erstatteten. Bis zur Gerichtsverhandlung hat P. die Taten stets geleugnet und die Töchter der Lüge bezichtigt. Auch damit mussten sie fertig werden, von anderen Familienmitgliedern als Verleumder abgestempelt zu werden. Tochter Romina glaubte bis gestern nicht die Geschichten ihrer Schwestern. Ob sich am guten Verhältnis zu ihrem Vater nun, nachdem sie das Urteil mit eigenen Ohren vernommen hat, etwas ändern wird, bleibt der Zukunft überlassen. Für Jessica und Stefanie jedenfalls war dieser Prozess eine Art Befreiungsschlag, der das dunkle Kapitel in ihrem Leben endlich abschließen soll.

Zwei Jahre auf Bewährung für diese verabscheuungswürdigen Taten? Schwer verständlich das Geheimnis der Gesamtfreiheitsstrafe. Diese wird aus den jeweiligen Einzelstrafen gebildet. Die einzelnen 18 Taten wurden vom Gericht mit einer Strafe zwischen einem und zwei Jahren für tat- und schuldangemessen bewertet. Würde man alle Einzelstrafen addieren, käme ein Urteil zwischen 20 und 30 Jahren heraus. Bei der Gesamtstrafe werden jedoch nach dem Ermessen des Gerichts und den Tatumständen Einzelstrafen zusammengezogen. Eine feste Regel gibt es nicht, die Strafe darf nur nicht unter der höchsten Einzelstrafe liegen. Bei der Strafzumessung bewertete die Kammer in diesem Fall die lange Zeit, die zwischen den Taten und dem Urteil vergangen ist. Und sie erkannte zu seinen Gunsten das Geständnis, auch wenn sich Lothar P. nicht dazu durchringen konnte, sich bei seinen Töchtern in aller Öffentlichkeit zu entschuldigen. Hätte P. nicht gestanden, ein langwieriger und komplizierter Prozess wäre die Folge gewesen.

Die jungen Frauen hätten dann als Zeugen aussagen und noch einmal alle Details der Taten schildern müssen. Außerdem müssten Glaubwürdigkeitsgutachten erstellt werden, die den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen untermauern. Das alles blieb ihnen durch das späte Geständnis des Vaters erspart.

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