Fast 15 000 sind Leiharbeiter

Beschäftigungsverhältnisse zweiter Klasse haben eine traurige Konjunktur

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Im vergangenen Jahr erfasste die Statistik fast 15 000 Brandenburger, die bei Leiharbeitsfirmen beschäftigt waren. Im Jahr 2004 waren es laut Arbeitsminister Günter Baaske (SPD) erst 6500. »Das entspricht einer Erhöhung um 128 Prozent.« Waren Leiharbeiter im Jahr 2004 in 152 Betrieben angestellt, so waren es Ende 2009 schon 259 Betriebe.

Vor allem in Potsdam und Cottbus wird Leiharbeit in großem Umfang praktiziert, geht aus einer von Baaske präsentierten Übersicht hervor. Ende 2009 waren in Potsdam 3563 Leiharbeiter angestellt, in Cottbus waren es 1928. Damit vereinigen diese beiden Städte rund ein Drittel aller brandenburgischen Leiharbeiter auf sich.

Der Minister bestätigte: »Es existiert kein Mindestlohn in der Leiharbeitsbranche, da diese bisher nicht in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen ist.« Leiharbeiter verdienen meist weniger als ihre Kollegen, sie genießen nicht den gleichen Kündigungsschutz und auch nicht die gleiche Absicherung.

Als die CDU noch den Wirtschaftsminister stellte, hatte sie damit geworben, dass in Brandenburg die menschliche Arbeit besonders preiswert zu haben sei. Diese Saat ist aufgegangen. Brandenburg gilt als Billiglohnland.

Vor einiger Zeit stellte der DGB das »Schwarzbuch Billiglohn« vor. Darin wird gezeigt, »wie stark Arbeitshetze und Lohndrückerei die Arbeitsbedingungen prägen«. Die landestypische Billigarbeit hat sich durchgesetzt – um den Preis von Erscheinungen, die »eher dem Mittelalter zuzuordnen sind«, wie DGB-Landesbezirkschefin Doro Zinke sagt. Zu einem erniedrigend schlechten Einkommen vieler Menschen gesellt sich in Brandenburg nicht selten auch eine menschenunwürdige Behandlung. Laut Gewerkschaft sind Resignation, Apathie und Flucht die Folge. 13,7 Prozent der Beschäftigten verdienen weniger als 701 Euro im Monat. Leiharbeiter sind oft beschäftigt in Branchen wie Wachschutz, Landwirtschaft oder Callcenter, aber auch in der Solarindustrie. Sie sind die letzten, die Arbeit bekommen, und die ersten, die sie verlieren. Das deutsche Recht leistet solchen Zuständen laut DGB Vorschub, weil der europäische Grundsatz »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« auf vielfältige Weise zum Nachteil der Arbeitnehmer ausgehebelt werden könne. Arbeitslose müssen eine Tätigkeit annehmen, die 30 Prozent unter dem Tariflohn bezahlt werde.

Die Existenz der prekären Beschäftigung diszipliniert und verunsichert aber auch normal Beschäftigte und lässt bei ihnen die Neigung sinken, Rechte durchzusetzen. Gewerkschaften nennen Sprechverbote während der Arbeitszeit oder das Verbot, die Toilette außerhalb der Pausen zu benutzen. Menschen erleben, dass sie »klein gemacht« werden und der Willkür ausgeliefert sind. Junge Menschen tun sich diese Dinge nicht an – zumindest wenn sie können. Ein stetiger Strom entziehe sich durch Flucht in andere Bundesländer – um den Preis, dass Heimat und Freundeskreis aufgegeben werden müssen. Der Arbeitsminister sagte dieser Tage, dass jedes Jahr 12 500 junge Brandenburger auf der Suche nach einer besser bezahlten Arbeit das Land verlassen.

Sogar Victor Stimmig, Präsident der Potsdamer Industrie- und Handelskammer, forderte von den Unternehmen, höhere Löhne zu zahlen. »Zumindest bei den Hochqualifizierten muss die Vergütung besser werden.« Stimmig wiederholte die These von der »geringeren Produktivität im Osten«. Baaske widersprach: Die angeblich geringere Produktivität errechne sich ja gerade vielfach aus den niedrigen Löhnen.

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