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Verbrechen und Moral

Lucio von Jose Mari Goenaga und Aitor Arregi

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 3 Min.

Jeder hat seinen Traum vom Leben. Der von Lucio Urtubia, 1931 in einem Dorf in Navarra geboren, war von Anfang an: »Zu stehlen und niemandem wehzutun.« In ihm paarte sich die kriminelle Leidenschaft mit hohem moralischen Anspruch. Was tut man mit dieser Charakterkonstellation? Das Kriminelle in den Dienst einer höheren Sache stellen!

So wurde Lucio ein Anarchist, der Banken ausraubte, Schecks und Pässe fälschte – aber nie sich selbst bereicherte. Die Zeit des Kampfes gegen Franco nennt er darum die glücklichste seines Lebens, es klingt wehmütig. Aber immerhin ist er so zu einer Legende geworden, und vielleicht geht der fast Achtzigjährige immer noch nachts ab und zu auf Raub aus? Harmlos genug sieht er aus dazu.

Man hat ihn einen modernen Robin Hood genannt, auch einen Baskischen Zorro, aber im Grunde ist er doch immer eins geblieben: ein Abenteurer, der darüber seine regelmäßige Arbeit nie vernachlässigte. So absurd es klingt, aber während Interpol auf der ganzen Welt nach ihm fahndete, ging er redlich seinem Beruf als Maurer nach. Erst nach Feierabend funktionierte er Druckereien zu Geldfälscherwerkstätten um, ließ mit einer ausgeklügelten Logistik zur gleichen Zeit überall auf der Welt falsche Schecks einlösen – und brachte so den Banken Verluste von vielen Millionen bei. Ja, die Banken und Franco waren seine Lieblingsfeinde, gegen sie kämpfte er mit nie nachlassender Lust. Dieser moderne Pirat wurde so zum heimlichen Volkshelden, zum Geldbeschaffer für zahlreiche Untergrundbewegungen. Niemand vermutete in dem einfachen Maurer den Kopf einer solch mächtigen Organisation – und so kam er in seinem von kriminellen Aktivitäten reichen Leben mit wenigen Monaten Gefängnis davon. Und auch diese stoppten nicht die Aktivitäten der Gruppe. So muss sich die Citibank, wegen einer Schwemme von falschen Travellerschecks in die Krise geraten, 1980 schließlich sogar auf Verhandlungen mit ihm einlassen.

Ein Schalk ist dieser Lucio zweifellos, der heute gern seine Geschichten erzählt, und auch der Dokumentarfilm von Jose Mari Goenaga und Aiga Arregi lebt ganz von dieser unerhörten Chronik hochmoralischer Kriminalität. Nur eine Niederlage gibt es im Leben Lucios: 1962 gelang es ihm nicht, den damaligen Chef der kubanischen Nationalbank, Che Guevara, davon zu überzeugen, mit gefälschten Dollar-Noten die USA zu destabilisieren. Vieles ist hier vielleicht nur fantasiereich fortgesponnener Lebenstraum, aber immer auf belehrende Weise unterhaltsam.

Natürlich hat der PR-erfahrene Lucio auch ein Buch über sein Leben geschrieben. Es heißt »Baustelle Revolution«. Morgen, am 22.10., kommt er selbst nach Berlin, um es um 20 Uhr im Mehringhof vorzustellen. Hoffentlich handelt sich bei dieser Meldung nicht um eine Fälschung!

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