Brandenburger Heimatkunde

20 Jahre Landtag: Journalist Matthias Krauß erzählt die jüngste märkische Geschichte anders

Begeistert seien die Landtagsabgeordneten damals ans Werk gegangen, meint Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD). Vor 20 Jahren erlebte das Land Brandenburg seine Wiedergründung. Gestern vor 20 Jahren konstituierte sich der erste Landtag. Daran erinnerte am Dienstagabend ein Festakt im Potsdamer Nikolaisaal.

Vor über 600 geladenen Gästen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Sport und Kultur erinnerte sich der frühere Parlamentspräsident Herbert Knoblich: »Der Geist der parlamentarischen Arbeit lag in der Suche nach den besten Lösungen für die Menschen im Land.« Hans Otto Bräutigam, von 1990 bis 1999 Justizminister, erklärte: »Blickt man zurück zum Neuanfang vor 20 Jahren, kann man heute sagen, dass Landtag und Landesregierung trotz mancher Schwierigkeiten und Konfrontationen eine gute und erfolgreiche Arbeit geleistet haben.«

Der Journalist Matthias Krauß hatte damit gerechnet, dass im Nikolaisaal gejubelt wird. Darum plante er die Premiere seines neuen Buches »Hoch über Sumpf und Sand« quasi als Gegenveranstaltung. Er präsentierte das sehr lesenswerte Werk mit dem Untertitel »20 Jahre Neu-Brandenburg« fast zeitgleich auf dem Potsdamer Theaterschiff.

In dem Buch lässt der Autor Pleiten, Pech und Pannen der vergangenen zwei Jahrzehnte am Auge des Lesers vorüberziehen. Er nennt die gescheiterte Länderfusion mit Berlin, den holprigen und teuren Weg zu einem Großflughafen in Schönefeld oder den Rekordwert von 3,30 Euro, den die Entsorgung eines Kubikmeters Abwasser im Bundesland durchschnittlich kostet, weil überdimensionierte Kläranlagen in den märkischen Sand gesetzt worden sind. Millionen flossen in den dann doch fehlgeschlagenen Versuch, aus Wünsdorf eine Beamtenstadt zu machen. Dort, wo zuvor das Oberkommando der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland gesessen hatte, wollten die Staatsdiener nicht wohnen und arbeiten.

Die Liste der Affären um Trennungsgeld oder die sittenwidrige Aneignung von Bodenreformland ist längst nicht vollständig. Manches gescheiterte Großprojekt wie die Chipfabrik in Frankfurt (Oder) kann Matthias Krauß gerade einmal erwähnen. Wenn er jedem Skandal ein eigenes Kapitel gewidmet hätte, dann hätten 200 Seiten längst nicht ausgereicht.

Die Konsequenz aus vielfachem Versagen schildert er in dem Abschnitt »Das Glasperlenspiel«. Hier beschreibt er, wie die Politik einen kaum noch abzutragenden Schuldenberg von 20 Milliarden Euro auftürmte und dabei alle Warnungen in den Wind schlug. Den Rechnungshofpräsidenten Horst Maschler habe Mitte der 90er Jahre die Sorge getrieben, »dass allen späteren Landesregierungen nichts mehr übrig bleiben würde, als die Schulden der ersten vier bis fünf Legislaturperioden zu bezahlen«, schreibt Krauß. Der damalige SPD-Fraktionschef Wolfgang Birthler habe Maschler zurechtgewiesen. Dieser solle sich nicht in Dinge einmischen, die ihn nichts angehen.

Lediglich die PDS habe im Landtag Soll und Haben mitunter genau vorgerechnet. Doch auch diese Partei sei dabei gehemmt gewesen. Denn ihre politischen Forderungen zugunsten der Benachteiligten haben ihr den nicht ganz unberechtigten Vorwurf eingetragen, »letztlich eine noch höhere Neuverschuldung heraufbeschwören zu wollen«, findet Krauß. Außerdem habe die Linkspartei die Hoffnung nie ganz begraben, »dass es mit einer Regierungsbeteiligung an der Seite der SPD doch noch klappen könnte«, notiert er. So sei die Kritik der sozialistischen Abgeordneten am Kurs der Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Matthias Platzeck »zumindest gelegentlich schaumgebremster« ausgefallen.

Seinen frechen Stil kündigt der Autor schon auf der zweiten Seite seines Buches an. Dort findet sich der ironische Hinweis, es handele sich bei dem Werk um eine politische Heimatkunde – »vom Verfasser für den Gebrauch an brandenburgischen Schulen empfohlen«. Platz bleibt für kleine Anekdoten: Der Potsdamer Oberbürgermeister Horst Gramlich verbummelte seine Amtskette. Eine Firma lieferte die neuen Fahnenstangen vor dem Landtag einen Meter zu kurz. Ein Kamel sollte bei einer Protestaktion die drohende Wüste symbolisieren, ging dabei durch und warf den PDS-Kandidaten Peer Jürgens ab. Die SPD-Politikerin Angelika Thiel-Vigh übernahm das Überhangmandat der zurückgetretenen Regine Hildebrandt, bis das Landesverfassungsgericht ein Jahr später feststellte, dass es so nicht gehe. Thiel-Vigh avancierte kurz darauf zur Staatssekretärin.

Bei aller Kritik bemüht sich Matthias Krauß um eine faire Betrachtungsweise. »Die Dörfer sind schmuck, die Innenstädte liebevoll restauriert«, weiß er. Doch was in der DDR »räudig und grau, aber lebendig« gewesen sei, das sei nun angesichts der wegziehenden Jugend »schön und asphaltiert, aber scheintot«.

Der Buchtitel »Hoch über Sumpf und Sand« orientiert sich am Text der brandenburgischen Hymne, die peinlicherweise ein beliebtes Marschlied der SA gewesen ist. Gleich im ersten Kapitel ruft Krauß in Erinnerung, dass der erste Alterspräsident des Landtags, Gustav Just (SPD), sein Mandat niederlegen musste, nachdem herauskam, dass er sich 1941 in der Ukraine an der Erschießung jüdischer Widerstandskämpfer beteiligt hatte.

  • Der Landtag verabschiedete seit 1990 bei insgesamt 415 Sitzungen 682 Gesetze.
  • Im Landtag sind 16 222 Petitionen eingegangen, 209 große und 9489 kleine Anfragen wurden beantwortet.
  • Es gab zwölf Untersuchungsausschüsse.
  • Im ersten Landtag von 1990 saßen vier Abgeordnete, die in Westdeutschland aufwuchsen. Aktuell sind es 16 von 88 Abgeordneten.

Matthias Krauß: »Hoch über Sumpf und Sand«, Karl Dietz Verlag Berlin, 200 Seiten (brosch.), 16,90 Euro, ND-Buchbestellservice: Tel.: (030) 29 78 17 77

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