Weniger Schüler ohne Abschluss

Quote sank erstmals seit sieben Jahren – Sie liegt nun bei 10,1 Prozent / Minister lobt Oberschulen

Matthias Türcke besuchte die Werner-von-Siemens-Schule in Gransee. Anschließend war er der beste Bäckerlehrling im Kreis Oberhavel. Inzwischen hat er einen Meisterbrief in der Tasche. Die Handwerkskammer Potsdam ehrte ihn 2009 als besten Meisterabsolventen unter den Bäckern. Solche Erfolgsgeschichten erzählt Schulleiter Reinhard Witzlau seinen 240 Zöglingen, um sie zu besseren Leistungen anzuspornen.

Schon lange bemüht sich die Siemens-Schule um eine praxisorientierte Bildung. Bereits 1993 knüpfte sie deswegen Kontakte zum Siemens-Konzern in Berlin. Auch zu etlichen anderen Unternehmen nahm die Bildungsstätte Verbindung auf, so dass die Schüler dort zum Beispiel ein Praktikum machen können.

Bis August 2005 lief die Werner-von-Siemens-Schule als Gesamtschule ohne gymnasiale Oberstufe. Dann wandelte das Land Brandenburg alle Gesamtschulen ohne gymnasiale Oberstufe und die Realschulen in Oberschulen um. 150 Oberschulen gibt es derzeit. Nach Ansicht von Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) haben sie einen entscheidenden Anteil daran, dass die Quote der märkischen Schulabgänger ohne Abschluss jetzt von 11 auf 10,1 Prozent gesenkt werden konnte. »Das ist die beste Nachricht am heutigen Tage«, freute sich Rupprecht gestern. Zuvor war die Quote sieben Jahre lang immer nur angestiegen. Gegenüber 2008/09 verminderte sich die Quote allein bei den Oberschulen von 3,3 auf 2,9 Prozent. »Unsere Oberschulen sind keine Sackgasse«, betonte der Bildungsminister. »Wer die Oberschule besucht, wird optimal aufs Berufsleben vorbereitet.« Die Oberschule sei akzeptiert.

Das sah bei der Einführung der Oberschulen vor fünf Jahren anders aus. Damals versuchten die Eltern »mit aller Macht«, ihre Kinder auf die Gymnasien zu bringen, erinnerte sich Rupprecht. Es habe sich nicht sofort herumgesprochen, dass die Oberschulen »für alle« da sind: gleichermaßen für schwache Schüler, die Probleme beim Lernen haben, und für leistungsstarke, die das Abitur anstreben. Die Anmeldungen für die Oberschulen seien dürftig gewesen, berichtete Rupprecht.

Mittlerweile kann Schulleiter Witzlau in Gransee manchmal nicht alle Jugendlichen aufnehmen, die zu ihm möchten. 25 bis 30 Prozent von Witzlaus Zöglingen schaffen die Zugangsberechtigung fürs Gymnasium. Dieser Wert dürfte für das gesamte Bundesland gelten, vermutet Bildungsminister Rupprecht. Eine genaue Zahl vermag er nicht zu nennen. Wer das Zeug dazu hat, dem stehe nach dem Abschluss der zehnten Klasse in der Oberschule immer noch der Weg zum Abitur offen, versicherte Rupprecht. Theoretisch sei dann ein Wechsel ans Gymnasium möglich. Allerdings mangelt es dort an freien Plätzen und es müsste die zehnte Klasse wiederholt werden. Besser wäre es, an eine der 27 Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe zu gehen, erläuterte der Minister. Denkbar sei außerdem, ein Oberstufenzentrum zu besuchen. Dort könne die Fachhochschulreife erworben werden.

Hochachtung vor den Leistungen der Oberschulen äußerte die Landtagsabgeordnete Gerrit Große (LINKE). Die Erfolge seien in erster Linie das Resultat der hervorragenden Arbeit der Pädagogen. Dies dürfe allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit den Oberschulen das gegliederte deutsche Schulsystem nicht aufgebrochen sei, dass die Oberschulen mit den Mängeln dieses Systems behaftet sind. Wer sich für die Oberschule entscheide, verliere dadurch die Chance, das Abitur bereits nach zwölf Jahren abzulegen. Große vermutet, dies sei der Hauptgrund dafür, dass viele Eltern ihre Kinder lieber auf ein Gymnasium schicken. Dadurch werden den Oberschulen leistungsstarke Schüler entzogen, bedauert die Politikerin. Große vertritt nach wie vor die Ansicht, besser wäre eine Gemeinschaftsschule für alle. Der CDU schmeckt dies nicht. Ihr Abgeordneter Gordon Hoffmann sprach von »sinnlosen Debatten über Schulstrukturen«.

Das leichte Absinken der Schulabbrecherquote sei erfreulich, aber »ein Trend nach unten ist daraus nicht abzuleiten«, fand die Landtagsabgeordnete Marie Luise von Halem (Grüne). Von der versprochenen Halbierung der Schulabbrecherquote sei Brandenburg meilenweit entfernt.

Zu dem Ziel, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss zu halbieren, hatte Rupprecht gesagt: »Das werden wir nicht schaffen.« Aber die Quote werde in den nächsten Jahren weiter sinken.

Allein 4,2 Millionen Euro wendet das Land im laufenden Schuljahr für die Betreuung von Jugendlichen auf, »die uns zu entgleiten drohen«. Mit dieser Umschreibung meint der Minister die Schulschwänzer. »Das sind teure Projekte, das weiß ich«, gestand Rupprecht ein. Es handele sich um eine Menge Geld für eine begrenzte Zahl von Schülern. »Aber wir dürfen keinen zurücklassen. Wir brauchen alle – in Zukunft«, sagte der Bildungsminister vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Fachkräftemangels.

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