Der Charme der Victoriastadt

Verfrühter Weihnachtsbummel zu Kunst und Handwerk mit Lichtenbergs Bezirksbürgermeisterin

  • Uta Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Keramikerin Lorén Scholz bei der Arbeit
Keramikerin Lorén Scholz bei der Arbeit

»Umgeben von Bahnanlagen fühlen wir uns wohl auf unserer ›Insel der Glückseligen‹«, erzählt Annette Meyer in der Galerie Wolters in der Türrschmidtstraße 12. Die Architektin wohnt seit elf Jahren in der Victoriastadt und zählt sich zu den Glücklichen. »Diese Insellage, die Ruhe, aber auch die Nähe zum Friedrichshainer Nachtleben machen ebenso den besonderen Charme des Stadtteils aus wie die sanierten Wohnhäuser aus der Gründerzeit.«

Sachkundig und enthusiastisch führt Annette Meyer durch ihren Kiez. Eingeladen dazu hatte die Lichtenberger Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (LINKE), die seit acht Jahren regelmäßig am zweiten Sonnabend im Monat mit interessierten Berlinern durch ein Stück ihres Bezirkes spaziert. Diesmal ging es erstmalig in die Victoriastadt. Diese Aktion von Künstlern und Gewerbetreibenden im Kaskelkiez, wie die Victoriastadt auch genannt wird, findet hingegen öfter statt. Die siebte Tour lockte auch Berliner von weiter her an.

Auch wenn immer mehr junge Familien hier leben, gibt es doch Altes. So die evangelische Paulusbuchhandlung in der Pfarrstraße. Sie gehört zu den ältesten in Berlin und bietet im winzigen verkramten Laden alles, was man möchte. Auch junge Künstler nutzen die »uralten« Räume als Werkstätten. Im Dachgeschoss mit Blick auf Kleingärten mitten im Wohngebiet entsteht Schmuck aus Gold, Silber und anderem Metall. Darunter stellen Anat Moses und Helmut Menzel Geschirr aus Porzellan und Steingut her. Sie sind auch auf Wochenmärkten am Boxhagener oder Arkonaplatz zu finden. Die im Kiez wohnende russische Fotografin Aglaya Polomarchuk bietet ihre einzigartigen Blicke von und auf Berlin auch als Ansichtskarten an.

Altes und Neues eng beieinander gibt es wenige Häuser weiter in der Nummer 29. Seit vier Jahren betreibt Lorén Scholz hier Werkstatt und Keramikladen »Lorelei«. Sie vereint ihre Vorlieben – die Malerei auf Keramik und schöne alte Dinge. Stöbern kann man mittwochs bis freitags von 12-18 und samstags von 11 bis 16 Uhr. Unikate aus Beton für Haus und Garten oder als Landschaftskunst stellt Till Gruhl her. Seine Manufaktur findet sich in der Kaskelstraße 55.

Auf dem Bahngelände haben sich verschiedene Künstler und Handwerker angesiedelt und bilden als BLO Ateliers die »größte Künstlergemeinschaft im Osten Berlins«. Die Bildhauer, Musiker, Maler und Handwerker fühlen sich auch als Kulturförderer und stellen ihre Räume Schülern für Theaterproben zur Verfügung.

Seinen Abschluss findet der zweistündige Rundgang im »Jelänger Jelieber« in der Kaskelstraße 49. Das Restaurant ist aus einem Hausprojekt gewachsen. Projekte dieser Art gibt es 13 im Kiez. Auch die Pfarrstraße 112 gehört dazu, wo Florian Selig sein Fotodesign-Atelier hat. Ende der 1980er Jahre standen die Häuser leer, weil sie saniert werden sollten. Dann kam die Wende und die herruntergekommenen Gebäude sollten abgerissen werden. Studenten und Lehrlinge besetzten sie, verhinderten den Abriss, taten sich zusammen und wurden Eigentümer. Sie renovierten selbst, setzten die Häuser instand, wohnen und arbeiten hier und feiern oft gemeinsam.

Dieser Zusammenhalt der Anwohner ist spürbar und beeindruckt auch die Bezirksbürgermeisterin, die »bei diesem Kiezspaziergang viel Neues erfahren« hat. Mehr über das Viertel zwischen den Gleisen bieten zum Beispiel ein gerade vom Bezirksamt Lichtenberg herausgegebenes Infoblatt und die Dauerausstellung im Stadthaus. Darüber hinaus erscheint demnächst das Buch »Rummelsburg mit der Victoriastadt« von Christine Steer, Leiterin des Museums Lichtenberg.

Nächster Kiezspaziergang am 11.12. ins Sportforum Hohenschönhausen, www.lichtenberg.berlin.de, www.museum-lichtenberg.de

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