Der Leib und die Libelle

Heute wird der Schauspieler Rolf Hoppe achtzig Jahre alt

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.
Rolf Hoppe
Rolf Hoppe

Das Dämonische muss sehr lange auf Suche gewesen und bei seinen forschenden Blicken in die Menschenwelt sehr wählerisch geblieben sein. Wählerisch und wissend: Ich bekomme, was ich brauche! Und tatsächlich, das Böse stieß auf jenes sehr Spezielle, wonach es fahndete: diese eine besondere Lieblichkeit, verpackt in unübersehbare Leiblichkeit. Der Auserwählte: Rolf Hoppe. Und so ging das Dämonische fortan wie ein Glückskind durch den DEFA- oder DDR-Fernsehfilm: Das Grobschlächtige nahm sich die Gutmütigkeit zur Gefährtin, die Wucht war nur in weicher Erscheinung wahr, das Tückische mietete sich im Treuherzigen ein, das Gewalttätige wuchs aus dem ganz Gewöhnlichen, und das Brutale wies sich mit dem Passbild des Biederen aus. Wirkungsvoller kann Dialektik nicht sein.

Rolf Hoppe, das sind mit der Zeit zwei Erscheinungsarten geworden: Glatze, Vollbart. Zeichen einer beinahe fahrigen, nervösen Neigung ins Extrem – und: als müsse auf jede Offenlegung bis aufs Blanke sofort mit einer Verbergenstechnik geantwortet werden. Glatze, Vollbart; Gestrüpp legen. Das Gesicht als Experimentierfeld für die Überwindung einer inneren Unsicherheit? Die den Künstler wohl nie verließ und ihren Anteil behauptete an dessen darstellerischer Einmaligkeit.

Denn Hoppe, 1930 im Harzer Ellrich geboren, ist trotz sehr präsenter Rollen nie ein Vordergrundspieler. Das Filigrane seiner Fieslinge, das tigerhaft Schleichende seiner Despoten, das Feiste seiner Indianerfilm-Desparados sowie die leidende Versenkung oder melancholische Verzagtheit bei seinen Vätern und Lebens-Vorgerückten – das hatte nie einen so festen energetischen Kern wie etwa bei Heinrich George oder Willy A. Kleinau.

Hoppes Agieren verlor nicht das flatternde Misstrauen. Den bang flackernden Blick. Das fein Verhemmte. Das vorsichtig Schleppende oder sich tastend Herantänzelnde. Im schweren Körper die Libellenschnelligkeit: eine ständige Fluchtbereitschaft gleichsam. Und das Lärmige war höchstens ein Durchgangsstadium ins Weise, Spöttische, tief Bedenkende. Hinterm galoppierenden Wüterich immer der Werteflüsterer. Die kehlige Stimme: Man hört die Liebe zum spannungsvoll Gedämpften. Sein Gang ins Scheinwerferlicht behielt somit laufbahnlang etwas Fragendes – nach dem prinzipiellen Sinn, in Erscheinung treten zu wollen. Als wünschte er sich einen schützenden Schleier zwischen Realität und Spiel, zwischen Audrucksgewerbe und privater Person. Aber es gelingt nicht. So wird die Schüchternheit, die doch besiegt werden soll, selber zur imposanten Erscheinung. Das Ungeschützte triumphiert, und wie ein Triumph sieht es trotzdem nie aus. Dies stört die Kunst? Es ist die Kunst. Jedenfalls bei Hoppe.

Vielleicht liegt hier ein Grund dafür, dass der Dresdner, über zwei Jahrzehnte ein Großer in größten Rollen am dortigen Staatsschauspiel, nicht Fuß fassen konnte am Deutschen Theater Berlin, er ist kein Boxer in dünner Luft eines Olymp. Hoppe kam am DT nicht durch, er ging nicht mal auf die Bühne. Er blieb aber, Berlin wieder den Rücken kehrend, sehr bei sich und seiner Art. (Zu der eben auch gehörte, dass er in Dresden den Lear hatte spielen sollen, aber auf den Gloster auswich.)

Der Studienrat im Film »Die besten Jahre« (Regie: Günther Rücker): frühe DDR – wie da der schneidende Geisteshochmut des entmachteten Bourgeois auf die noch ungelenk Lernenden im neuen Staat prallt. Der Konzernchef in »Ärztinnen« (Regie: Horst Seemann): wie Profitgier doch abstoßend und imponierend zugleich sein kann! Der Schurke Bashan in »Spur des Falken« (Regie: Gottfried Kolditz): Damit ein Held entsteht (Gojko Mitic) und Zuschauern am Ende ein siegschönes Lächeln aufs Gesicht gezaubert werden kann – dafür müssen andere, Zu-Arbeiter, alle Register der Scheußlichkeit ziehen. Der Sachsenherrscher August im TV-Mehrteiler »Preußens Glanz und Sachsens Gloria« (Regie: Hans-Joachim Kasprzik): Der Satz »Brühl, ich hab doch noch Geld?« wurde zur geflügelten Angstfrage eines befehlsschwachen Fürsten, der für seine kostspielige Kunstgier zum Auspresser des Volkes wird. Der Vater Wieck in »Frühlings-Sinfonie« (Regie: Peter Schamoni): tragisch entgleisende Vaterliebe. Der Bruno in »Der Bruch« (Regie: Frank Beyer): Gauner mit dem gewissen Etwas, und sei es etwas Gewissen; das gesetzlose als das ehrliche Leben, weil es offen tut, was ganze Gesellschaften heimlich betreiben.

Viele Rollen, listig, lüstern, lustig, lauernd, bei Kawalerowicz, Simon, Gräf, Zschoche, Warneke, Wolf, Dietl, Levy. Natürlich!, Göring in Szabós »Mephisto«! Wenn die Kamera die Augenhöhe verlässt und leicht von unten das Gesicht des Nazibonzen erfasst, geht diese Fresse als fette Sonne auf, die sich quasi selber umstrahlt. Deutsche Finsternis als toll-tumbes Fleischglühen; eine glänzende Schweinebacken-Feier. Aber Hoppe wäre nicht Hoppe, wenn er nicht versuchte, uns solche prunkende Ungestalt ans Herz zu legen. Wie eine schleimige Schlange, angepriesen als schönen Schal. Und wie Macht züngelt, zuschnappt, wenn sie auf Menschenfang geht! Seltsam, wie dieser Film stets betont wird: als sei erst diese Arbeit, 1980, eine Art Welt-Geburt des Künstlers gewesen. Das Göring-Spiel: Wer Hoppes DDR-Filme sieht, weiß, worin es wurzelt.

Er war, im richtigen Leben, Kutscher, Bäcker, Tierpfleger, als Vierzehnjähriger wird er von den US-Amerikanern zu Aufräumungsarbeiten im nahen KZ »Dora« beordert. Fürs Leben bleibt ein Grund-Satz: »Ich gehöre zur Generation, die den Geruch verbrannten Fleisches in der Nase hat, ich werde das nicht los.« Lebens Fügung: jung genug, schuldlos zu sein; alt genug, zu begreifen. Lebens Fanal: aufspielen, um aufzuklären und das Aufstehen zu trainieren – wider die Gleichgültigkeit, in der die Katastrophen auf ihre Stunde warten.

Aber zunächst: Mit Fleiß und Geduld war eine Stimmlippenlähmung zu überwinden, am Organ und mehr noch an der Seele, damit Hoppe Schauspieler bleiben konnte. Was ihn erstmals in den künftigen Beruf gezogen hatte, war übrigens der vorwärtsreißende Elan einer FDJ-Laienspielgruppe, die wackere Fröhlichkeit der »Südharzer Jungspatzen«. Dies und: die unverwüstliche Liebe zum Spaßmacher, Artisten, Seiltänzer – später so berührend Gestalt geworden in der Rolle des mittelalterlichen Gauklers in Bernhard Stephans Film »Jörg Ratgeb – Maler« (1978). Der Clown, wie Christus: am Kreuz, unter der Folter der Dornenkrone. Er wird sich von der Kirchturmspitze werfen, als zeige er sein schönstes Kunststück. Der Tod als Sieg über kein Leben. Rettung nur, indem die geschundene Kreatur aus Zeit und Welt fällt. Wie sie da niederstürzt, die lustige Person: Leben bleibt bis zum Schluss eine Haltungsfrage.

Der Clown – ein Prinzip: Er ist zornig, so dürfen wir mit ihm rebellieren. Er kennt das bittere Leben, so dürfen wir ihm trauen. Ist bunt, so ruft er Träume in uns wach. Und ist so empfindlich!, denn die Scheinwerfer zerfetzen täglich seine Haut. Aber er kann ohne dieses Licht nicht leben. Rolf Hoppe, nun 80, lockt seit Jahren ins Hof-Theater – auf Schloss Weesenstein im Müglitztal bei Pirna.

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