Die wollen nur spielen

»Das letzte Abendbrot« im Theater unterm Dach zeigt verschiedene Formen des Zusammenlebens

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.
Einzelgänger in Familie.
Einzelgänger in Familie.

Eine Anbauküche ist eine prima Erfindung. Selbst im Theater leistet sie gute Dienste als Bühnenbild von Max Moormann. Die Schauspieler können den Schränken Utensilien entnehmen, die sie fürs Spiel brauchen. Nicht nur Perücken und ähnliches, auch Töpfe, Geschirr und Besteck. Das Essen köchelt auf dem Herd und schickt seine Düfte durch den Saal des Theaters unterm Dach. Am Ende des Stücks wird auf der Bühne gemeinsam der Tisch gedeckt und gegessen.

Die Gruppe unitedOFFproductions hat »Das letzte Abendbrot« serviert. Regie- und Textrezept sind von Dieter Krockauer. Das gemeinsame Abendmahl gefällt allen. Es ist wie ein Fest. Hier nicht wie im kirchlichen Sinne, aber doch als versöhnende Geste nach allem, was sich abgespielt hat. Dann verschwinden alle wieder vom Tisch. Sie wollen nicht gebunden sein.

Jens Münchow, Mirca Preißler, Florian Simon, Michael Ulfik plagten sich zuvor 90 Minuten am Beziehungskrisenherd. In rasanten Rollenwechseln waren sie Eltern, Kind, Freunde, die in den verschiedensten Konstellationen zusammen leben. Konflikte waren auszutragen, verschiedene Ansichten auszuhalten. Fragen kamen auf. Welche Bedeutung hat die Familie heute? Ist sie eine überlebte Form, die niemand mehr will? Fest steht, dass man nicht nur Angenehmes abbekommt, wenn man sich für sie entscheidet, sondern auch Zwänge erlebt. Doch letztlich wollen heute viele leben wie in Zeiten um die Urgemeinschaft. Man teilt sich eine Höhle und schläft, bei wem man will. Doch Verpflichtungen gab es dort wohl auch. Schon wegen des Abendbrots. Dich liebe ich, mit dir will ich leben und Kinder haben – das kommt nicht vor. Im Vordergrund steht: Ich will dies, ich will das, kann dies nicht und das nicht. Sie zu ihm: »Ich bin schwanger.« Er zu ihr: »Deine Sache.« Der Egoismus feiert Triumphe.

Zum Spiel wird auf einer Videoleinwand von Frauen und Männern Familiäres erklärt. Die Äußerungen sind teilweise realistisch. Beispielsweise, wenn es um Zwänge oder Einsamkeit geht. Andere sind stark verklausuliert. Allerhand von hinten durch die kalte Küche. Die Möglichkeit, durch Respekt in der Familie Grenzen zu markieren, die es allen Beteiligten ermöglichen, ihr Leben leben zu können, scheint kaum möglich zu sein. Es fehlt die Fähigkeit, Verantwortung zu tragen, zeigt das Stück. Es fehlt an Mut. Natürlich treiben es die Schauspieler ins Groteske. Das spitzt zu, macht die Sache komisch, aber auch deutlicher. Am stärksten, wenn es um die Single-WG geht. Die 13-jährige Tochter Lisa, die ihren Erzeuger hier besucht, fühlt sich pudelwohl. Klar, die Lebensweise dort ist ja auch eine Art fortgesetzter Kindheit. Jeder hat sein Zimmer. Manchmal macht man was zusammen. Dann will jeder wieder alleine spielen.

Frauen kommen im Stück gut weg. Sie stellen sich den Lebenssituationen, während die Männer um die 35 Mensch gewordene Milchschnitten zu sein scheinen, nicht erwachsen werden wollen und wahrscheinlich so ins Alter gehen. Sie verwarten ihr Leben. Wer hat das verzapft? Die Mütter? Die Väter? Die Gesellschaft? Das Werbefernsehen morgens halb zehn in Deutschland?

Die bürgerliche Kleinfamilie sei seit den 60ern nicht mehr das dominierende Familienmodell. Die These ging dem Stück voraus. Es gibt viele Formen des Zusammenlebens, was gut ist, weil es Bedürfnissen dient. Dass man sich jedoch auch bei Wahlverwandtschaften täglich Problemen stellen muss, arbeitet unitedOFFproductions in diesem ersten Teil seiner Theater-Trilogie zu Familie, Alter und Zukunft prägnant heraus.

15.-17.12., 29., 30.1., 20 Uhr, Theater unterm Dach, Danziger Str. 101, Prenzlauer Berg, Tel.: 902 95 38 17, im Internet: www.theateruntermdach.de

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