»Berlin ist auf Sumpf gebaut«

Castorfs Volksbühne erhält endlich mehr Geld - der Skandal ist nicht vom Tisch

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Frank Castorf, seit über zehn Jahren Intendant der Berliner Volksbühne, schaut immer etwas gelangweilt. Überforderung macht müde. Aber je müder dieser »Regisseur des Welttheaters» (Ivan Nagel) ausschaut, desto untergründiger wühlt seine Produktivkraft. Aus Übermüdung und permanenter Überforderung heraus entwickelte sich die Volksbühne zu Berlins intelligentestem, bösestem, besessenstem Theater.
Besonders gelangweilt schaut Castorf, wenn ihm seine eigene Größe in regelmäßigen Abständen von der regionalen Politik bescheinigt wird. Moderne Radikalität, forsch-frecher Geist und ungeschminkte Ehrlichkeit Berlins werden gern auch mit seiner Arbeit begründet. Zum zweiten tut dann regionale Politik so, als sei jener Charme des Maroden, Abgewirtschafteten und Selbstausbeuterischen, mit dem die Volksbühne über die Jahre stolperte und hinkte, ganz selbstverständlicher Teil der Exotik am Rande des Prenzlauer Berges.
Irgendwann ist Schluss. Seit Spielzeiten bittet (bittet!) Castorf darum, die offizielle Wertschätzung für seine Leistung auch in Geld auszudrücken. Nie geschah etwas Grundsätzliches; seit drei Jahren ist die Vertragsverlängerung für den Intendanten ein schwebendes Verfahren. Und hingeworfen hat der 50-Jährige wohl nur deshalb nicht, weil er in der Volksbühne eine ideale Arbeits-Gemeinschaft besitzt, die seiner Auffassung von Ensemble und Kontinuität entspricht. Hier in (Ost-)Berlin hat sein spielerisches Querulantentum Quelle und Heimat. Castorfs Impuls ist identisch mit dem Grund, mit dem man ihn von Kultursenator zu Kultursenator erpressen konnte. Stets hat er mit Selbstfessel gewirtschaftet, massiv gespart - wo andere großzügig sanieren ließen, hat er den Möbelplunder aus DDR-Zeiten weiter vor sich hingammeln lassen, frei nach Herberger: »Entscheidend ist aufm Platz!«, nicht in der aufgepuderten Direktoren-Etage oder in der gestylten Kantine.
Nun hat der Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses verkündet: Die Volksbühne bekommt im laufenden Jahr 360 000 Euro und im nächsten Jahr 813 000 Euro zusätzlich. Eine Notbremse gleichsam - denn nichts wäre schändlicher als ein »Fall Castorf« unter rot-roter Ägide. Der noch nicht vom Tisch ist: Denn die versprochenen Gelder werden einem Etat zugeschrieben, der abgesenkt wurde. Und: Erwirtschaftet werden sollen sie durch Erhöhung der Kartenpreise woanders. Die Volksbühne als Nutznießer von Notopfern? Dagegen verwahrte sich Castorf bereits bei der Schließung des Schiller Theaters, als er es ablehnte, die Volksbühne dorthin auszusiedeln. Nein, Republikflucht ist seine Sache nicht.
Gespaltenes Herz. Einerseits möchte man (noch einmal!) hoffen, dass Castorf die Verfahrensweise der Berliner Unkulturpolitik egal ist. Zu hoch wäre der kulturpolitische, der charakterliche Verlust, flöge die aufbaufreudigste Künstlertruppe der Hauptstadt auseinander. Andererseits hat Erniedrigung Grenzen. Wowereit, was immer er tun möge, hat schon jetzt versagt - indem er die Volksbühne nicht zur Chefsache erklärte. Statt dessen wurstelt sich ein PDS-Kultursenator Flierl durchs Bürokratendickicht, der schon längst die zupackende Leidenschaft eines Bauernopfers ausstrahlt. »Trotzdem meine ich, daß die jetzige Entscheidung signalisiert: Berlin bekennt sich zu Frank Castorf.« Sagte er in der FAZ. Klingt wie weichstes Kommuniqué, nicht wie couragiertes Machtwort.
Ein rot-roter Senat erweist sich am Beispiel der Volksbühne allem Anschein nach nicht als Erneuerer, sondern als knarrende Kopie des Gewesenen und Gewohnten. Das wäre nicht weiter schlimm, hätte man nicht einen anderen koalitionären Anspruch formuliert.
»Berlin ist auf Sumpf gebaut. Da entsteht nichts, da kann nur verwertet werden, hat Heiner Müller 1995 gesagt ... Alles wie gehabt: In Berlin wird gekauft und verkauft, nicht produziert. Bei allem Verständnis für die aussichtslos schwierige Lage des Sparsenats, dies klingt wie der unverhohlene Aufruf an alle, die in Berlin etwas bewirken können, für einen Aufbruch stehen, möglichst schnell aus dieser Stadt zu verschwinden. Kapitalismus und Depression aber bleiben hier. Im psychologischen und ökonomischen Sinn. Darüber sollte man noch einmal nachdenken.«
Das schrieb Frank Castorf vor wenigen Wochen, als es um die Existenz des Berliner Kulturhauses »podewil« ging, an seinen Duz-Freund Flierl. Es war wohl auch ein Brief in eigener Sache. Von der praktischen Antwort des Senators w...

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