Halberstadt verliert das letzte Ostgeld

Land will Zugang zum Stollensystem in den Thekenbergen vertraglich regeln

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Die Halberstädter Stollen, in denen derzeit noch das letzte DDR-Geld liegt, haben eine bewegte Geschichte. Jetzt wird wieder mal zwangsversteigert. Wenigstens die angrenzende KZ-Gedenkstätte aber soll künftig bessere Bedingungen haben.

Am heutigen Dienstag um elf Uhr hebt sich im Amtsgericht Halberstadt der Hammer: Zwangsversteigerung. Angeboten wird ein Areal in den Thekenbergen vor den Toren der Stadt. 25 000 Quadratmeter Fläche, geschätzter Verkehrswert 170 260,20 Euro. Zwei Gläubiger des jetzigen Eigentümers Stephan Triebler, eines ehemaligen Rechtsanwalts aus der Gegend um Köln, dessen Adressen bemerkenswert häufig wechseln, haben die Versteigerung beantragt, weil dieser Schulden in sechsstelliger Höhe nicht begleichen konnte.
Pikant an dem ansonsten nicht ungewöhnlichen Vorgang ist die Geschichte des Geländes. In den Thekenbergen befindet sich ein 17 Kilometer langes Stollensystem, das in den Jahren 1944/45 von KZ-Häftlingen aus dem Lager Buchenwald in den Sandstein getrieben werden musste. Im Rahmen des Projektes »Malachit« sollte die durch Bombenangriffe in Mitleidenschaft gezogene NS-Rüstungsindustrie befähigt werden, V2-Raketen und Jagdflugzeuge auch unterirdisch montieren zu können. Im Außenlager Langenstein-Zwieberge vor den Toren Halberstadts wurden dafür 7200 KZ-Häftlinge zu unmenschlicher Zwangsarbeit getrieben. 70 Prozent überlebten nicht. An ihr Leiden erinnert heute eine Gedenkstätte.
Die Stollen indes sind nicht Teil des Erinnerungsortes. Das Tunnelsystem, von der Nationalen Volksarmee in großen Teilen zum Munitionslager ausgebaut, dient heute vielmehr einem skurril anmutenden Zweck. In einem Teil der Gänge liegen, säuberlich abgepackt, 620 Millionen Geldscheine. Ihr Wert als Zahlungsmittel ist hinfällig, handelt es sich doch um Mark der DDR. Das entwertete Geld, darunter nie in Umlauf gekommene 200- und 500-Mark-Scheine, hat die Staatsbank der DDR in Halberstadt eingelagert - eine ihrer letzten Amtshandlungen.
Was jedoch die »Magdeburger Volksstimme« jetzt berichtete, dass nämlich das »Grab des DDR-Papiergeldes« vor der Zwangsversteigerung stehe, sei falsch, sagt Lutz Miehe, der im Magdeburger Regierungspräsidium für Gedenkstätten zuständig ist. Unter den Hammer kommen nur zwei vergleichsweise kleine Teile des riesigen Areals; das Tunnelsystem sei überhaupt nicht betroffen, wird beim Amtsgericht auf ND-Nachfrage bestätigt. Selbst wenn dieser, so der Gerichtssprecher, »sehr kleine Bruchteil« den Eigentümer wechseln sollte, was angesichts der hohen Summe und der fraglichen Nutzung fraglich scheint, würde sich für die Gedenkstätte nichts ändern, sagt Miehe.
Deren Besucher haben in der Vergangenheit immer wieder darüber geklagt, dass sie nur ein Mundloch des Stollensystems, nicht aber die Gänge selbst besichtigen können. Nur zu den alljährlich im April stattfindenden »Tagen der Begegnung«, zu denen oftmals noch lebende frühere Häftlinge anreisen, werden nicht ausbetonierte, authentisch erhaltene Stollenabschnitte freigegeben - wenn denn der Eigentümer will. Auch wenn in der Gedenkstätte von einem problemlosen Verhältnis zum Nachbarn berichtet wird, hatten Ex-Häftlinge und Besucher oft den Eindruck, dass der Zaun nur nach Gutdünken geöffnet wurde.
Solche Irritationen soll es künftig nicht mehr geben. In einem Vertrag will das Land künftig den Zugang zu den unverbauten Tunnelteilen geregelt wissen. Der Entwurf liege derzeit dem Eigentümer vor, sagt Miehe gegenüber ND. Er warnt aber gleichzeitig vor übertriebenen Hoffnungen. Freiem Zugang stünden »große Sicherheitsprobleme« wegen Steinschlags entgegen. Zudem muss bei jeder Öffnung die Bewetterung und Stromversorgung sichergestellt werden - ein nicht ganz billiges Unterfangen.
Über Sicherheitsprobleme in Halberstadt klagt auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die das Depot mit dem letzten Ostgeld von der DDR-Staatsbank übernommen hat. Dabei geht es jedoch nicht um lose Steine, sondern um Schatzsucher. Wider Erwarten gelang es im vorigen Jahr zwei Jugendlichen, nicht nur die maladen Zäune, sondern auch die Stolleneingänge zu überwinden und sich die Taschen mit Scheinen zu füllen. Während Experten angenommen hatten, das Geld wäre zwölf Jahre nach seiner Entwertung längst verwittert, waren die Scheine weitgehend unbeschädigt und versetzten Sammler in Entzücken.
Die Jugendlichen kamen vor Gericht, die KfW ins Grübeln. »Das Problem soll endgültig gelöst werden«, sagt Sprecherin Christine Volk. Mitte des Monats sollte die Öffentlichkeit über die Zukunft des letzten Ostgeldes informiert werden. Doch nach Informationen der »Mitteldeutschen Zeitung« ist eine Lösung bereits gefunden. Die Scheine sollen in einer Müllverbrennungsanlage im niedersächsischen Buschhaus verfeuert werden. Mit der Verbrennung sei schon begonnen worden.
Halberstadts Oberbürgermeister kann es recht sein. Hans-Georg Busch zeigt sich bereits jetzt reichlich enerviert über die endlose Geschichte der Tunnelanlagen mit ihren Besitzerwechseln und der ungeklärten Nutzung. Zudem befürchtet man in der Stadt, dass neue Nutzer etwa Sondermüll oder ähnlich fragwürdige Fracht in die Gänge kippen könnten. Der SPD-Politiker wünscht sich daher, die Stadt bekäme das Gelände in den Thekenbergen übertragen. Dann sollten die Gänge verfüllt und das landschaftlich schöne Areal den Bürgern zugänglich gemacht werden. Investieren will er für die Grundstücksübertragung aber nur einen symbolischen Euro: Einen »Appel und ein Ei« könne man ausgeben, heißt es im Rathaus: »An der Zwangsversteigerung beteiligen wir uns aber nicht.«
Was nach dem Abtransport der DDR-Mark-Scheine mit den Halberstädter Stollen geschieht, ist derzeit offen. Zuschütten, wie vom Rathaus gewünscht, kommt für den Gedenkstättenexperten Lutz Miehe aber keinesfalls in Frage: »Wir brauchen eine Nutzung, die der Gesc...

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