»Psycholytische Sitzung« und ihre Folgen

Ehefrau des Berliner Drogenarztes, bei dem zwei Patienten starben, zu einer Geldstrafe verurteilt

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen

Der Schuldanteil an einem medizinischen Experiment, bei dem zwei Patienten starben und fünf verletzt wurden, beträgt 2700 Euro. Das entschied gestern das Amtsgericht Tiergarten nach vorheriger Absprache mit Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Es sind die Nachwehen im Fall des 51-jährigen Arztes Garri R., der im Mai wegen Körperverletzung mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt wurde. Gestern stand seine Ehefrau, die 42-jährige Krankengymnastin Elke P. vor Gericht. Sie war der Beihilfe zum unerlaubten Überlassen von Betäubungsmitteln angeklagt.

Der Fall erregte letzten Herbst die Berliner Gemüter. In seiner Privatpraxis in Hermsdorf hatte am 19. September der Doktor 12 Patienten zu einer »psycholytischen Intensivsitzung« eingeladen, um sie gegen teures Geld von ihren seelischen Qualen zu erlösen. Er glaubte seinen Patienten helfen zu können, indem er ihnen während der Sitzung bewusstseinsverändernde Substanzen verabreichte. Erst erklangen beruhigende Melodien, dann erläuterte der Arzt, was in den nächsten Stunden in den Räumen der Praxis geschehen werde. Dann wurden so genannte Neocor-Kapseln mit dem Wirkstoff Methylon verabreicht Die Spannung bei den Patienten löste sich, sie begannen, sich wohlzufühlen. Sie wurden offen zueinander und berichteten sich gegenseitig von ihren psychischen Problemen.

Doch damit war die Behandlung nicht beendet, der eigentliche Hieb kam erst noch. Erneut verabreichte der Arzt sieben Patienten, die sich nach Beratung durch ihn einverstanden erklärt hatten, eine Mixtur mit Methylendioxymethamphetamin (MDMA), besser bekannt als Ecstasy, in zehnfach überhöhter Dosis. Seine Frau half bei der Verteilung der Mittel. Garri R. wusste genau, dass er sich damit strafbar gemacht hatte, er war jedoch fest davon überzeugt, dass keinerlei Gefahr für Leben und Gesundheit seiner Patienten bestehen würde. Das beteuerte er immer wieder in seinem Prozess. Doch auch wenn nichts geschehen wäre, hätte er wegen illegaler Verabreichung von Drogen kriminell gehandelt. Es gab auch keine internationalen Erfahrungen, auf die sich der Arzt hätte berufen können.

In den Nachmittagsstunden begann das Gift zu wirken, die Stimmungslage der Patienten veränderte sich radikal. Aus Gelassenheit wurde Hysterie und Panik, aus freundlicher, entspannter Mitteilsamkeit Aggression. Ein 59-Jähriger schien auf einem Sofa eingeschlafen zu sein, doch sein Körper war blau angelaufen. Der herbeigerufene Notarzt konnte nur noch den Tod des Patienten feststellen. Ein zweiter Mann brach ebenfalls zusammen. Der Psychotherapeut ließ ihn in seine Wohnung im selben Haus bringen, um zu verhindern, dass sich die Panik weiter ausbreitet. Er starb wenig später auf der Intensivstation. Fünf weitere Opfer wurden mit zum Teil erheblichen Vergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert. »Ich wollte immer nur helfen und Gutes für die Menschen tun«, versuchte Garri R. sein Handeln zu erklären, und er hatte angekündigt, auch weiterhin nach dieser Methode behandeln zu wollen. Deshalb verhängte das Gericht neben der Gefängnisstrafe ein lebenslanges Berufsverbot für die Tätigkeit als niedergelassener Arzt und Psychotherapeut. Als angestellter Arzt könne er jedoch nach Verbüßung seiner Strafe durchaus wieder arbeiten.

Für seine Ehefrau, Mutter von vier Kindern, ging die Sache weitaus glimpflicher aus. Das Gericht berücksichtigte bei der verhängten Geldstrafe vor allem die Tatsache, dass sie nicht wusste und nicht wissen konnte, was für ein tödliches Gebräu da serviert wurde.

Das Urteil des Berliner Amtsgerichts vom Montag ist rechtskräftig, da sowohl Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft auf Revision verzichteten.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal