Der Stein am Glasower Damm

Ein Jahr nach dem Besuch Noël Martins sucht Mahlow noch immer seinen Frieden

  • Peter Richter
  • Lesedauer: ca. 7.0 Min.

Wie anderswo in Deutschland erweist sich auch in dem Berliner Vorort der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit als Aufgabe, die einen langen Atem braucht.

Fast allen war es tüchtig unbehaglich gewesen mit dem Stein. Und sie alle sind jetzt ziemlich froh, dass nichts mit ihm passiert ist - auch wenn die Sorge bleibt: Man kann ja nie wissen ... Der Stein steht am Glasower Damm in Mahlow. Genauer: Er klemmt in einem stilisierten Baumstumpf aus Bronze und soll jenes granitene Geschoss symbolisieren, das am 16.Juni 1996 das Auto Noël Martins traf. Seitdem ist der schwarze britische Bauarbeiter gelähmt - und Mahlow versucht, mit dem düsteren Ereignis zu leben.
Nach langer Schamfrist, von manchem auch als Angebot zur Verdrängung aufgefasst, hatte der heute 42-jährige Invalide im Vorjahr den beschaulichen Berliner Vorort aus dieser Ruhe gerissen. Noël Martin kehrte nach Mahlow zurück, gewissermaßen als lebendige Mahnung: Nie wieder! Damals war der Stein, den der Metallkünstler Werner Mohrmann-Dressel geschaffen hatte, in den märkischen Sand neben der Ausfallstraße und gegenüber einer Schule gesetzt worden. Hier war Martin, der nach dem Steinwurf die Gewalt über sein Auto verlor, gegen einen Baum geprallt. Den hatte man schnell weggeräumt, und das Mahnmal wollten die meisten dort auch nicht haben. Gewissermaßen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatten es einige Leute vom Verein »Tolerantes Mahlow« Stunden vor Noëls Ankunft in den Boden versenkt, und niemand wagte, es von dort spektakulär wieder zu entfernen.

Etwas Geld und viele gute Worte

Nicht nur Manfred Claus, der stellvertretende Bürgermeister des Ortes, befürchtete damals das Schlimmste. »Ich war dagegen, und wir haben die Skulptur vorsorglich versichert«, berichtet er. »Doch bisher hat keiner versucht, sich daran zu schaffen zu machen.« Insofern habe sich in Mahlow schon etwas verändert, doch Claus bleibt skeptisch: »Morgen kann das schon wieder anders sein.«
Der Gemeinderat aber habe das Notwendige getan, als er bald nach Noël Martins Besuch besondere Maßnahmen für den »Umgang mit der nachwachsenden Generation« beschloss. Ein Jugendbeirat wurde gebildet, mit einem eigenen Haushaltstitel, das Thema sollte den Rat regelmäßig beschäftigen. Stolz zählt Manfred Claus, zugleich Vorsitzender des Ausschusses für Finanzen und Wirtschaft, auf, wie viel Geld in Mahlow gerade für junge Leute ausgegeben wird: 5000 Euro für den Jugendbeirat, 9000 Euro Personalkosten und Mietzuschlag für den Jugendklub »Oase«, 1000 Euro für den Ausländerbeauftragten, Zuschüsse für Internet-Café, das der Betreiber DRK dennoch schließen will, und Schüler-Café der Herbert-Tschäpe-Grundschule, Beteiligung an der Anschubfinanzierung für ein Jugendobjekt in Blankenfelde, Gelder für die Musikschule, für einen Bolzplatz und vieles mehr. Alles in allem kämen da 300000 Euro für freiwillige Aufgaben der Gemeinde zusammen.
Zu solchen »materiell-finanziellen Voraussetzungen« trat anderes. Man sprach mit den Jugendlichen - in den Sportvereinen, den Jugendklubs, den Schulen. Die Tschäpeschule zum Beispiel nahm Projekttage zum einstigen jüdischen Leben in Mahlow, zu einem Gefangenenlager bei Blankenfelde in ihr Programm auf. Eine Schülergruppe machte sich nach Birmingham auf, um Noël Martin zu besuchen. Dem Verein »Tolerantes Mahlow«, zuvor ob seiner Ungeduld und unverblümten Kritik an kommunalem Behördentrott ziemlich beargwöhnt, streckte man nun vorsichtig die Hände entgegen. Auch der Ausländerbeauftragte fand zunehmend offene Ohren. Er und der Verein werden an diesem Wochenende zusammen mit vielen anderen in Mahlow an Noël Martin erinnern - mit einem multikulturellem Fest am Sonnabend und Diskussionsrunden, Ausstellungen und Videovorführungen am Sonntag. Der Bürgermeister wird sprechen, die Birmingham-Reisenden werden berichten, für die Aktion »Noteingang« wird geworben.
Noch ist die Zahl der roten Aufkleber, die einem Bedrängten den Fluchtweg in den Laden, die Kneipe, den Behördensitz oder gar die eigene Wohnung zeigen, in Mahlow überschaubar; man findet sie an den Apotheken in der Bahnhofs- und der Trebbiner Straße, an der Tierhandlung »Schnuppernase«, beim »City-Frisör« und beim »City-Grill«, am Reisebüro Schneider oder bei »Silvias Reisen«. Mit vielen ist noch gar nicht gesprochen worden, berichtet Martina Dettke, die zu den Initiatoren gehört. Denn es sei nicht um Aktionismus, sondern um Gründlichkeit gegangen - da habe man gelernt von den Eigenarten des »sozialistischen Ganges«, so die aus dem Westen Berlins Zugezogene. Bereits vor einem Jahr hatte man mit der Aktion »Gesicht zeigen« versucht, möglichst viele Bürger gegen rechte Gewalt zu mobilisieren. Damals ein bescheidener Anfang, wird heute mehr verlangt, und auch wer sich aus welchen Gründen immer noch nicht zur Beteiligung durchringen kann, wird zum Nachdenken veranlasst. Auch über solch kuriose Ablehnungsgründe wie dem des Managements der Schlecker-Drogeriekette, man betreibe in den eigenen Räumen keine »Fremdwerbung«.
Der Mahlower Gemeinderat hat die Aktion von Anfang unterstützt, nicht nur mit einstimmigem Beschluss, sondern auch durch Anbringung des Aufklebers an allen öffentlichen Gebäuden. Für nicht wenige ein besonderes Zeichen für den Klimawandel im Ort, hatte es doch bei den »Zuständigen« früher durchaus Zurückhaltung gegeben, sich an die Spitze des Kampfes gegen Rechts zu stellen. »Da ist man total sensibel geworden«, sagt Martina Dettke - und belegt dies mit dem Empfang für den Maler Volker von Mallinckrodt, der sich aus Solidarität mit Noël Martin auf dem Fahrrad aus seinem Heimatort nahe Stuttgarts nach Mahlow aufmachte und vorsorglich angedroht habe, er werde die Presse informieren, wenn man seine Tat nicht gebührend würdige. Zwar habe der Radler Mühe gehabt, sein Ziel zu finden, doch dann sei er nicht nur von einem Streifenwagen begleitet, sondern auch von einem »hochkarätigem« Empfangskomitee mit Bürgermeister Werner la Haine begrüßt worden.

Die Bahnhofsszene ist verschwunden...

Am Mahlower Bahnhof, früher Treffpunkt der rechten Szene, sieht man diese heute kaum noch. Die einen sind älter geworden, haben eine Familie gegründet, andere spürten wohl, dass nicht mehr so viele weghören und -sehen, wenn sie ihre ausländerfeindlichen Sprüche machen und Fremde bedrohen. Jüngere, für die die Szene mit ihren Springerstiefeln, Bomberjacken und Nazisymbolen durchaus noch Attraktivität ausstrahlt, fühlen dennoch: Es tut mir nicht gut, wenn ich mich mit diesen Leuten sehen lasse. Auch die Polizei hat einen schärferen Blick auf den Bahnhofsvorplatz, auf dem ein Schild des Amtsdirektors mahnt, der Genuss von Alkohol sei hier verboten.
»Diese Szene hat uns im vorigen Jahr besonders beschäftigt«, sagt Knut Bukowiecki, »das ist nun aber in dieser Weise erledigt.« Das PDS-Gemeinderatsmitglied weiß zugleich, dass damit das Problem noch lange nicht gelöst ist. Keine drei Monate nach Noël Martins Besuch wurde im benachbarten Dahlewitz der Obdachlose Dieter Manzke gequält und erschlagen - unter den Tätern zwei Mahlower, darunter einer von der Bahnhofsszene. »Die Täter haben sich nicht geändert, aber um sie kümmert sich keiner. Das Problem, das von ihnen ausgeht, ist zwar nicht mehr sichtbar, aber es besteht noch.« Als die Schüler ausgewählt wurden, die nach Birmingham fuhren, entschied man sich für jene, die ohnehin interessiert waren, die »Positiven«. Noël Martin wollte zwar, dass gerade jene kommen, bei denen Vorurteile abgebaut werden müssen. »Die nahm man nicht mit, im Gegenteil«, sagt Bukowiecki, und Martina Dettke fügt hinzu: »Man wollte wohl kein Risiko eingehen.«

...rechtes Denken aber lebt fort

Der junge Ausländerbeauftragte Mehmet Oezbek, dessen Familie nun schon in dritter Generation in Deutschland lebt und der anfangs in Mahlow viel Feindschaft ertragen musste, sieht zwar auch Fortschritte, mag die aber nicht überbewerten. Der 23-jährige Jurastudent kümmert sich um das Zusammenleben der gerade einmal 240 Mahlower fremdländischer Herkunft - die meisten haben längst einen deutschen Pass - mit den bald 10000 seit längerem oder kürzerem Einheimischen. Da muss er Nachbarn beruhigen, wenn ein brasilianischer Familienclan Freunde empfängt und eine Art »Karneval in Rio« veranstaltet. »Am besten ist es dann, wenn die Nachbarn eingeladen werden«, sagt Oezbek und fügt hinzu, die Brasilianer hätten damit keine Probleme, doch mit der Resonanz hapere es. Das andere Mal muss er einem türkischen Schlosser - im Zweifel auch mit Hilfe des Ordnungsamtes - klarmachen, dass er bei der Herstellung von Dönerspießen die Arbeitszeit nicht nur nach seiner Auftragslage, sondern auch nach dem Ruhebedürfnis der Nachbarn auszurichten hat. Es sind eigentlich Streitigkeiten, die in Deutschland überall vorkommen - ob dort nun Ausländer leben oder nicht. Sind aber Fremde beteiligt, bekommen sie schnell eine ganz besondere Unversöhnlichkeit.
Mehmet Oezbek registriert auch kleine Zeichen von hartnäckigem Rassismus. Da mag ein Mädchen aus der 1. Klasse im Sportunterricht kein Duo mit einer kleinen Türkin bilden, denn: »Du bist Ausländerin, mit dir will ich nichts zu tun haben.« Und eine andere lässt die Griechin nichts in ihr Poesiealbum eintragen: »Du hast so einen komischen Namen, da sind meine Eltern sauer.« Hier müsse man viel mehr ansetzen, meint er, denn solches Denken käme kaum von den Kindern. »Man findet hier so schöne Häuser und so freundliche Menschen und kann sich nur wundern, wenn man so etwas hört.«
Der Stein für Noël Martin am Glasower Damm. Dass er bisher weder geschändet noch beschädigt wurde, auch wenn schon mal Bierflaschen auf ihn flogen, hält fast jeder, mit dem man dieser Tage in Mahlow spricht, für bemerkenswert. Und auch, dass zwei Dunkelhäutige es mittlerweile wagen können, im Ort die Post auszutragen. Da hat man doch schon ein bisschen Frieden; nur - ...

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