Angst vor der Verdrängung

Förderung des Sanierungsgebiets Bötzowstraße abgeschlossen / Kritik an Luxusmodernisierung

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 4 Min.
Teures Pflaster: die Schweizer Gärten gegenüber dem Märchenbrunnen.
Teures Pflaster: die Schweizer Gärten gegenüber dem Märchenbrunnen.

Nach der Sanierung des Bötzowviertels in Prenzlauer Berg schauen viele Bewohner sorgenvoll in die Zukunft.. Die meist älteren Menschen, die schon seit Jahrzehnten in diesem Kiez zwischen Greifswalder Straße und Am Friedrichshain leben, befürchten, dass sie sich nach den zu erwartenden Mieterhöhungen ihre Wohnungen nicht mehr leisten können und an den Stadtrand verdrängt werden. Zu viele Wohnungen wurden luxussaniert, kritisierten Mieter während einer Anwohnerversammlung. Das Bötzowviertel war seit 1995 mit öffentlichen Mitteln gefördertes Sanierungsgebiet. Nun ist Schluss damit.

»Mein Mann ist schon Rentner«, berichtete eine Frau. »Und in drei Jahren ist es bei mir so weit. Wir wissen nicht, ob wir dann die Miete noch zahlen können oder an die Stadtgrenze ziehen müssen. Wir wollen aber nicht nach Hellersdorf. Hier haben wir viele Bekannte, kennen jede Ecke.« Baustadtrat Michail Nelken (LINKE) versuchte zu beruhigen: »Die Mieten werden erschwinglich bleiben.« Auch den befürchteten massiven Zuzug von besser verdienenden jungen Menschen sieht Michail Nelken nicht so dramatisch. »Es wird eine gesunde Mischung bleiben.«.

Nach einer von der Betroffenenvertretung Bötzowviertel in Auftrag gegebenen Studie sieht das allerdings anders aus. Die ASUM GmbH (Angewandte Sozialforschung und urbanes Management) stellte fest, dass der Quadratmeterpreis künftig bei 5 bis 5,50 Euro liegen wird, bei Neubezügen können es auch 7,20 Euro werden. Als Negativbeispiel für Neubauten wurden die »Town Houses« am Schweizer Garten – gegenüber dem Märchenbrunnen – angeführt. Hier seien die Mieten »horrend«. Aber auch ein Quadratmeterpreis 7,20 Euro ist nach Ansicht der Sozialforscher viel zu hoch. Schon heute sei jeder siebente Haushalt im Bötzowviertel armutsgefährdet.

In einem 2007 von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung herausgegebenen Faltblatt wurde festgestellt: 2006 gab es in dem 29 Hektar großen Sanierungsgebiet 3360 Wohnungen und 5874 Einwohner. Das entspreche einer Dichte von 203 Einwohnern pro Hektar. Im gesamten Ortsteil Prenzlauer Berg sind es 129 Einwohner pro Hektar.

Einen Grund für die dichte Besiedlung sehen die Einwohner in den großzügig geschnittenen Wohnungen. »Deshalb kann man die Wohnqualität des Bötzowviertels auch nicht mit dem der Greifswalder Straße gegenüber liegenden Winsviertel vergleichen«, stellte Nelken fest. Das Bötzowviertel sei schon immer eine großbürgerliche Wohngegend gewesen, so eine Alteinwohnerin. Nach Abschluss der Sanierungsarbeiten gebe es aber viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum für Geringverdienende.

Heftige Kritik gab es auch an dem »inflationären« Ausbau der Dachgeschosse, die dann zu sündhaft hohen Preisen vermietet würden. Die Sanierung sei oft auf unnötig hohem Standard geschehen. Außerdem mangele es an altersgerechten Wohnungen. Es sei nicht zu sehen, wo die rund 50 Millionen Euro Fördermittel verbaut wurden. »Viel Geld floss in die energetische Sanierung von Gebäuden, zum Beispiel Schulen«, so eine Mitarbeiterin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. 17,8 Millionen wurden in die Wohnungssanierung investiert, 15 Millionen in die Infrastruktur und etwa fünf Millionen Euro ins Wohnumfeld.

Aber nicht nur die Art der Sanierung wurde kritisiert. Der Betroffenenvertretung ist auch die 15-jährige Dauer der Sanierungsarbeiten zu kurz. »Es besteht noch Handlungsbedarf«, stellte der Sprecher der Betroffenenversammlung, Klaus Lemmnitz, fest. In dem Beschluss heißt es: »Wir sind nicht damit einverstanden, dass die Verantwortlichen in Senat und Bezirksamt den Status als Sanierungsgebiet trotz offensichtlich bisher nicht erfüllter wichtiger Sanierungsziele jetzt schon aufheben wollen. Wichtige Maßnahmen wurden bis jetzt entweder noch nicht abgeschlossen, noch nicht begonnen oder sind auch für die Zukunft weder planerisch noch finanziell gesichert.« Abschließend heißt es: »Wir widersprechen deshalb einer vorzeitigen Beendigung der rechtlichen Grundlagen des Sanierungsgebietes.«

Dazu Nelken: »Ich muss Ihnen die Illusion nehmen, hier dämpfend einwirken zu können.« Auch wenn die Sanierungszeit verlängert würde – mehr Geld gebe es nicht.


Gentrifizierung

Der Begriff Gentrifizierung stammt aus dem Englischen (»Gentrification«). Stadtforscher beschreiben mit ihm die Umstrukturierung und Aufwertung von Stadtteilen, in deren Verlauf die dort lebenden ärmeren Bevölkerungsgruppen durch besser verdienende Haushalte verdrängt werden, weil sie sich die neuen, teureren Mieten nicht mehr leisten können.

In Berlin gelten Teile von Mitte, Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Friedrichshain als typische Beispiele für solche Umstrukturierungsprozesse. Ob auch im Norden Neuköllns, wo sich derzeit ebenfalls ein solcher Aufwertungsprozess abzeichnet, wirklich gentrifiziert wird, ist unter Forschern umstritten.

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