Mehr Spielhallen als Bäcker

Wie Pilze schießen Casinos in der Stadt aus dem Boden, über Gegenstrategien gibt es politischen Streit

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Rund 37 000 Berliner zocken in immer mehr Spielhallen.
Rund 37 000 Berliner zocken in immer mehr Spielhallen.

Blinken, blitzen, leuchten in allen Farben. Die sprachlichen Mittel reichen kaum, um die aggressiv um Aufmerksamkeit heischende Leuchtwerbung so mancher Spielhalle zu beschreiben. »Dit kann's ja wohl nich sein«, sagt Peter Gast etwas ratlos vor einem besonders herausragenden Etablissement in der Schönhauser Allee. »Es werden immer mehr«, sagt der Anwohner in resigniertem Ton.

Stadtweit ist das Phänomen zu beobachten. Von 2006 bis 2009 hat sich die Zahl registrierter Spielhallen und Casinos auf rund 700 verdoppelt, neuere Zahlen liegen noch nicht vor. »Wir schätzen, dass es rund 37 000 Spielsüchtige in Berlin gibt«, sagt die Landesdrogenbeauftragte Christine Köhler-Azara. »Jugendliche in Mitte und Neukölln wachsen damit auf, dass es mehr Spielhallen als Bäcker gibt und dass es normal ist. So habe ich das von denen gehört«, berichtet Kerstin Jüngling, Leiterin der Berliner Fachstelle für Suchtprävention.

Die Problematik ist seit langem bekannt, politisch hat das Thema in letzter Zeit an Fahrt gewonnen. Die Initiative zu gesetzlichen Regelungen kam aus den Bezirken, denn neben der Suchtproblematik sorgen die vielen Spielhallen für den »Trading-Down-Effekt«, dem schleichenden Niedergang von Geschäftsstraßen.

Da ist zunächst die vom Senat bereits zum 1. Januar erfolgte Erhöhung der Vergnügungssteuer von bisher 11 auf nun 20 Prozent. Der nächste Schritt ist das vom rot-roten Senat auf den Weg gebrachte und momentan beim Rat der Bezirksbürgermeister liegende Berliner Spielhallengesetz. Es soll einerseits die Voraussetzungen für den Betrieb durch Sachkundenachweise und Schulungen für Betreiber und Mitarbeiter erhöhen, andererseits die Ballung von Spielhallen, sogenannte Mehrfachkomplexe, dadurch verhindern, dass zwischen zwei Betrieben ein Mindestabstand von 500 Metern nötig ist. Auch in räumlicher Nähe zu von Kindern und Jugendlichen besuchten Einrichtungen dürfen keine neuen Spielhallen eröffnet werden. Die dritte Komponente ist eine neue generelle Schließzeit von drei Uhr nachts bis elf Uhr vormittags.

Der Berliner CDU geht der Entwurf nicht weit genug, in ihrem bereits im September eingebrachten Gesetzentwurf forderte sie eine Reduktion auf stadtweit 70 Betriebe. Laut einem von der Partei eingeholten Rechtsgutachten ließe sich auch die Schließung bereits bestehender Hallen durchsetzen. Der SPD-Stadtentwicklungsexperte Daniel Buchholz zweifelt allerdings an der Machbarkeit.

Statt sinnvoller Lösungen sähen die Vorschläge von Senat und CDU laut Björn Jotzo von der FDP nur »massive Beschränkungen und ordnungspolitische ›Folterinstrumente‹ vor«. Seine Fraktion möchte stattdessen ein berlinweites Spielstättenkonzept mit einer Konzentration auf wenige Standorte. Das Problem sei nicht »die Menge der Spielangebote, sondern die mangelnde planerische Steuerung«, so Jotzo.

Das vom Senat vorgelegte Gesetz »kann nichts daran ändern, dass es zu viele Spielhallen in Berlin gibt«, sagt Maren Kern vom BBU, dem Verband der Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften. »Der Senat stemmt sich hier mit Regenschirmen gegen eine Flutwelle«, lautet ihre Einschätzung.

Suchtexperte Tobias Hayer erwartet durch landespolitische Maßnahmen keine gravierende Verbesserung der Problematik. Der häufig schon im Kindes- oder Jugendalter stattfindende Einstieg ins Automatenspiel erfolgt meist nämlich bei den frei stehenden Geräten in Imbissen oder Kneipen. Letztlich sei nur die rechtliche Einstufung der Automaten als Glücksspiel erfolgversprechend. Er denkt dabei an Maßnahmen wie die drastische Reduzierung des maximalen Stundenverlustes, aber auch -gewinns, Verlangsamung und weitere Entschärfungen. Die unter anderem von der Bundes-FDP geforderte Einführung einer Chipkarte hält er nur in Verbindung mit einer biometrischen Erkennung für sinnvoll. Ansonsten sei das Missbrauchsrisiko zu hoch. Mit vielen Stellschrauben müsste daran gearbeitet werden. Denn wie auch Landesdrogenbeauftragte Christine Köhler-Azara sagt: »Ein Verbot bringt nichts. Wir können ja die Menschen nicht ändern.«

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