Zerrbilder und Verwirrspiele

Elmar Faber mustert im neuen Essayband die Bücherwelt von gestern

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 5 Min.
Unbeirrt sei, wer Literatur an die Leser bringen will: Elmar Fabers Verlag hieß zunächst Sisyphus-Presse. Egbert Herfurth gestaltete ein Lesezeichen dafür.
Unbeirrt sei, wer Literatur an die Leser bringen will: Elmar Fabers Verlag hieß zunächst Sisyphus-Presse. Egbert Herfurth gestaltete ein Lesezeichen dafür.

Er ging, als der Aufbau-Verlag, den er seit 1983 geführt hatte, langsam sein Gesicht verlor. Inzwischen war ein neuer Besitzer erschienen, ein Retter, millionenschwer, wenn auch branchenfremd, der gern Marx zitierte, von seinen einstigen revolutionären Wallungen schwärmte und nun von großartigen Buchgeschäften träumte. Er wünschte sich mehr »Strandkorbliteratur« und glaubte ernsthaft, man könne Christa Wolf dazu bewegen, einen Kriminalroman zu schreiben.

Elmar Faber zog sich 1992 nach Leipzig zurück, wo er 1990 mit Sohn Michael einen eigenen Verlag gegründet hatte, er edierte bewundernswert schöne, kostbare Bücher, darunter eine DDR-Bibliothek, die sich hartnäckig dem Verdrängen widersetzte und noch einmal dokumentierte, was in dem verschwundenen Land geschaffen, gelesen, geliebt, auch bekämpft und verboten wurde.

In Leipzig, einst die Buchmetropole Deutschlands, brach unterdessen das Buchgewerbe zusammen, der Zeitgeist suchte sich rasend seine Opfer, ein Verlag nach dem anderen verschwand. Faber sah es mit Trauer, und wenn es besonders schlimm kam mit den »geschichtslosen Atemübungen der Mächtigen«, der Beliebigkeit, dem »politisch-historischen Schmierentheater unserer Nachwendezeit«, holte er sich Stärkung bei Stefan Zweig, einem seiner Hausgötter, der schon 1918 einen Essay veröffentlicht hat, der überschrieben war: »Opportunismus, der Weltfeind«.

Der Aufsatz, der sich mit dieser Zweig-Lektüre befasst, steht jetzt in einem schmalen Büchlein mit Betrachtungen zu Literatur und Politik, schon der dritten Sammlung seiner essayistischen Arbeiten, einem Band mit dem Titel »Die Mysterien der Vergeßlichkeit«, den man in viele Hände wünscht. Elmar Faber, der Verleger und Publizist, ist ein Mann, der davor gefeit ist, artig im Mainstream zu treiben und sich mit den Nichtigkeiten anzufreunden, die er hervorbringt. Er hat immer auf den gebildeten, kunstsinnigen, aufgeklärten Leser gesetzt, er weiß alles über Bücher und kennt den gestrigen Markt so gut wie den heutigen. Er ist ja lange genug dabei, viel zu lange und viel zu engagiert, um sich heute von Leuten, die sich im Besitz der Wahrheit wähnen, erzählen zu lassen, wie es zugegangen ist in Zeiten, als er, Student und Bücherliebhaber, bei Hans Mayer im Hörsaal saß und später im Lektorat und Chefbüro namhafter DDR-Verlage.

In der Mitte des Buches ein Bekenntnis, auf das er später noch einmal zurückkommt: »Ich halte nichts davon, wie es sich eingebürgert hat, die DDR-Verlagsgeschichte als einen unablässigen Strom von Zensurmaßnahmen zu betrachten, den die einen stets bedient, die anderen ständig überlistet haben sollen.« Natürlich gab es drastische Eingriffe, Verbote, rigide Feldzüge gegen missliebige Werke und Autoren, sogar fortgesetzte Drangsalierung wie im Fall Huchel. Wer könnte das besser wissen als er, der als Verlagsleiter ein »gebranntes Kind« gewesen ist und sich oft genug mit Geschick und List der politischen Einmischung erwehrt hat.

In einem seiner Essays beschreibt Faber noch einmal, wie erst Brechts »Das Verhör des Lukullus« in die verheerende Formalismus-Debatte geriet und dann Hanns Eisler mit seiner Oper »Johann Faustus« an den SED-Mächtigen scheiterte und, erschüttert, verletzt, verzweifelt, nach Wien floh. Aber mittlerweile wird ja schon von Zensur geredet, wo es um das alltägliche Geschäft in den Lektoraten ging, um Manuskripte, an denen zu arbeiten, zu feilen war, um gute, vernünftige Bücher.

Auf der einen Seite geballtes Unrecht, auf der anderen Demokratie: Das neue Geschichtsbild kennt, wenn es um die beiden deutschen Staaten geht, nur Schwarz und Weiß, auch wenn sich ab und an jemand kleinlaut zur Ansicht durchringt, dass es im Osten nicht bloß Knechtung und Staatssicherheit gegeben haben kann. Zum Beispiel erschienen Bücher, lesbare, wichtige, in hohen Auflagen verbreitete Bücher aus aller Welt, und die hitzigen Zeiten, in denen westdeutsche Journalisten in Scharen die Pressekonferenzen zur Leipziger Buchmesse bevölkerten, um über Autoren zu reden, die in der DDR bislang nicht gedruckt waren, gingen ja irgendwann einmal zu Ende. Da gab es zwar immer noch genügend Titel, die im Netz der Zensur hängen blieben, aber auch im Westen – vergessen, übersehen? – ging's nicht immer so fein, so vorbildlich zu, wie mancher glaubt. Hat man Brecht nicht gleich zweimal boykottiert und dann gerettet, indem man in bizarrer Anstrengung den guten Dichter vom bösen Kommunisten schied? Und ist, zum Beispiel, nicht Strittmatters »Wundertäter«, 1961 schon in Leseexemplaren verbreitet, nach dem Mauerbau im Westen flugs eingestampft worden? »Allüren«, sagt Faber, »des Kalten Krieges!« Hier werden keine Nostalgie-Kapitel geschrieben. Der Beobachter der deutschen Literaturszene, ein profilierter, musischer Mann, der im Ruf stand, der »Unseld des Ostens« zu sein, weigert sich nur, die Klischees und Zerrbilder, die heute in Politikerreden und Leitartikeln wuchern, widerspruchslos hinzunehmen. Mit Vehemenz verteidigt er die verlegerischen Leistungen der DDR.

Er spricht als Fachmann, als jemand, der sich noch erinnern kann, wie gründlich man sich etwa um die Bücher von Johannes Tralow kümmerte, dass ein so respektabler Dramatiker und Erzähler wie Hans-J. Rehfisch im Westen keinen Verleger fand (seine vierbändige Werkausgabe und auch der letzte, im Westen ungedruckte Roman Alfred Döblins erschien bei Rütten & Loening), ja dass weite Teile der Exilliteratur eine Weile nur in der DDR bekannt waren. Er skizziert den inzwischen zementierten ahistorischen Blick auf die deutsche Geschichte nach 1945, wenn er von einer Tagung im Saarland erzählt, die nicht einmal den leisen Versuch unternahm, ihre empörende Einseitigkeit einen Augenblick aufzugeben.

Diese Essaysammlung über Verwirrspiele und Bilderstürmerei, Ignoranz und Arroganz fasziniert, weil sie von der Anschauung, den Erfahrungen des Verlegers lebt, der intimen Kenntnis des Betriebs. Das publizistische Echo auf dieses Buch freilich ist dürftig. Wen wundert's? Fabers Wahrheiten, elegant und fundiert vorgetragen, dazu mit Interna reich illustriert, passen schlecht zur etablierten Deutungshoheit, der man täglich begegnet.

Elmar Faber: Die Mysterien der Vergeßlichkeit. Betrachtungen zu Literatur und Politik, Verlag Faber & Faber, 120 S., geb., 15 €.
Illustration aus dem Band »Vom Wein der Weisheit einen Tropfen. Autoren, Verleger und Bücherfreunde in heiterer Tafelrunde« (Verlag Faber & Faber, 190 S., geb., 16 €.)

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal