Leiharbeit mit bösen Folgen

Studie: Befristet Beschäftigte fühlen sich gesellschaftlich schlechter integriert als Festangestellte

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Befund ist ebenso eindeutig wie alarmierend: Leiharbeiter und befristet Beschäftigte haben das Gefühl, gesellschaftlich nicht wirklich dazu zu gehören. Dies ergab eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde.

»Soziale Teilhabe ist eine Frage von stabilen Jobs«, so der Titel einer neuen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Doch diese stabilen Jobs sind mittlerweile Mangelware. Der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse sinkt. Teilzeitbeschäftigung, Minijobs und Leiharbeit sind auf dem Vormarsch. Wie IAB-Direktor Joachim Möller am Donnerstag in Berlin betonte, gehe der Trend zur Befristung: »Vor zehn Jahren war weniger als jede dritte Neueinstellung befristet, mittlerweile ist es fast jede zweite«. Zwar liege die durchschnittliche Beschäftigungsdauer wie in den 90ern fast unverändert bei 10 Jahren. Aber Möller warnte: »Die Arbeitswelt driftet auseinander«. Vor allem junge Leute hätten es schwer, unbefristete Stellen zu finden. Die massive Zunahme der Leiharbeit verschärft das Problem. Bei gleicher Qualifikation wie ihre fest angestellten Kollegen erhielten die Betroffenen rund 20 Prozent weniger Lohn, rechnete Möller vor. Und die stets von Leiharbeits-Lobbyisten ins Feld geführten »Klebeeffekte« seien äußerst gering, so Möller. Nur etwa 10 Prozent der Leiharbeiter würden später tatsächlich übernommen.

Doch das Geschäft lohnt sich – zumindest für die beteiligten Firmen. Der ausleihende Betrieb spart Geld, weil die Zeitarbeiter zu schlechteren Konditionen malochen. Die Verleiher wiederum verdienen prächtig: »Die kaufen die Arbeitskraft so billig wie möglich ein und verkaufen sie dann so teuer wie möglich«, erläuterte Möller das Geschäftsmodell. Für die Betroffenen hat diese Unsicherheit ernste Konsequenzen. Der IAB-Studie zufolge fühlen sich Leiharbeiter und befristet Beschäftigte schlechter in die Gesellschaft integriert als Festangestellte. Wie die IAB-Arbeitsmarktforscherin Stefanie Gundert erklärte, trage etwa die große »räumliche Mobilität« der Leiharbeiter dazu bei, dass »soziale Beziehungen gekappt werden«. Wer ständig den Einsatzort wechselt, hat Schwierigkeiten, dauerhafte Beziehungen aufzubauen. Hinzu komme die »Planungsunsicherheit«, so Gundert. Wer nicht weiß, wo er demnächst arbeiten muss, kann sein Familienleben kaum planen. Ganz zu schweigen von der schlechten Bezahlung.

Die IAB-Analyse widmet sich auch den Folgen dieser »sozialen Exklusion«. Demnach fühlen sich die Betroffenen physisch und psychisch angeschlagen. Zudem fördert das Gefühl das Ausgeschlossenseins auch »aggressives und strafbares Verhalten«. Besonders fatal: Bei den Exkludierten verringert sich die Motivation, »anderen zu helfen sowie sich sozial und politisch zu engagieren«. Und so resümieren die Arbeitsmarktforscher: »Eine stabile Integration in den Arbeitsmarkt gilt als wesentliche Bedingung für gesellschaftliche Teilhabe«. Übrigens: Arbeitsmarktexperten erwarten, dass die Zahl der Leiharbeiter in diesem Jahr erstmals die Millionengrenze überschreitet.


Zahlen und Fakten

  • Leiharbeit hat sich seit 1994 mehr als verfünffacht. 2004 gab es noch 140 000 Zeitarbeiter; derzeit sind es mehr als 900 000
  • Mehr als die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse in der Leiharbeit endet innerhalb von drei Monaten
  • Beschäftigungsdauer bei Unter-30-Jährigen: Früher durchschnittlich 800 Tage; beim Jahrgang 1977 nur noch 600 Tage.
  • Fast jede zweite Neueinstellung ist befristet (46 Prozent). Es gibt heute rund 2,7 Millionen befristet Beschäftigte. Das sind eine Millionen mehr als Mitte der 90er Jahre. ND/IAB
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