Die Freiheit, anders zu denken

Zum 140. Geburtstag von Rosa Luxemburg

  • Jörn Schütrumpf
  • Lesedauer: 3 Min.

»Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ›Gerechtigkeit‹, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ›Freiheit‹ zum Privilegium wird.« Rosa Luxemburg, am 5. März 1871 geboren, war – wie viele Revolutionäre ihrer Zeit – ein Kind der Aufklärung. Sie wusste, wie die europäische Aufklärung im 18. Jahrhundert alle Gottgewolltheit feudaler Herrschaft aus den Köpfen des aufstrebenden französischen Bürgertums geradezu herausgeätzt und in ihm einen nur schwer erschütterbaren Willen zur Erringung der politischen Macht freigesetzt hatte.

Die moderne, auf der kapitalistischen Produktionsweise fußende Herrschaft war für Rosa Luxemburg nicht zuletzt Herrschaft über die Köpfe – ein Zusammenspiel von Kirche, Staat, Schule, Militär und veröffentlichter Meinung. Emanzipation von jeglicher Unterdrückung und Ausbeutung begann für sie mit der Emanzipation von dieser Herrschaft. Darin lag der erste, durch nichts ersetzbare Schritt zu einer Umwälzung hin zu Verhältnissen ohne Unfreiheit und Unterdrückung.

Ständig suchte sie die »Andersdenkenden« und deren wirkliche Absichten und Handlungen ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren und sie so zu zwingen, sich öffentlich zu wehren – die Herrschenden also zu stellen, etwas, das sie auch heute noch hassen wie der Teufel das Weihwasser. Rosa Luxemburg folgte dabei der Maxime: Wer nicht angreift, wird angegriffen. Für sie tobte ein permanenter, in der Öffentlichkeit stets dementierter und verschleierter Krieg: ein Krieg der herrschenden Kräfte gegen den »Rest der Gesellschaft« – mit friedlichen Mitteln und, wenn man sie ließ, mit Terror.

Rosa Luxemburg ging es um Menschen, die lernen, ihre Ohnmacht durch gemeinsames Handeln zu überwinden, durch Teilnahme an der Bewegung zum Bewusstsein ihrer eigenen Stärke gelangen und sich in den Kämpfen des Tages so ihrer eigenen unentfremdeten Interessen bewusst werden. Mit der »Freiheit der Andersdenkenden« war es Rosa Luxemburg bitter ernst; nicht aus Gründen einer seichten Moral oder einer dümmlich-selbstmörderischen Fairness. Als Naturwissenschaftlerin, die sie auch war, verstand sie Gesellschaft als etwas Organisches, als lebendigen Organismus. Gesellschaft könne sich dauerhaft nur dann ändern, wenn alle Kämpfe offen ausgetragen werden; dazu müsse jeder Spieler seine Freiheit haben. Alles andere erschien ihr absurd.

Den meisten linken Politikern hatte sie die Einsicht voraus, dass die Freiheit der Andersdenkenden eine emanzipatorische Politik überhaupt erst ermöglicht – die Rosa Luxemburg durch nichts so gefährdet sah wie durch Einschränkung, welcher Art auch immer. Eine Emanzipation mit anti-emanzipatorischen Mitteln und Methoden – unter späteren Kommunisten gern mit den »ungünstigen Bedingungen« und, besonders beliebt, der »Unreife der Massen« gerechtfertigt – hätte für Rosa Luxemburg eine Aufgabe ihres politischen Ansatzes bedeutet. Ihr war klar: Nur durch das Austragen der Gegensätze kann der »Rest der Gesellschaft« der eigenen Unterdrückung und Ausbeutung gewahr werden und sich so von der Herrschaft über die eigenen Köpfe befreien.

Sie war tief davon überzeugt, dass alles Künstliche, alle »von oben« geschaffenen Verhältnisse entweder in eine Terrorherrschaft münden – weil Verhältnisse, die auf diese Art und Weise geschaffen werden, nur mit Unterdrückung und letztlich Terror zusammengehalten werden können – oder aber diese Verhältnisse nicht lebensfähig sein würden. Für beides war sie sich zu schade.

Die Geschichte des Sozialismus des 20. Jahrhunderts hat gezeigt, dass zwischen diesen Polen kein dritter Weg hindurchführt. Wie nachhaltig der »real existierende Sozialismus« in der Gesellschaft verankert war, und zwar nach jahrzehntelanger Existenz, haben die Jahre seit seinem Verschwinden gezeigt. Dieser Sozialismus war nicht der Sozialismus der Rosa Luxemburg; die Angst vor dem Andersdenkenden war ihm tief eingeschrieben.

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