Nichts zu holen beim Kommissar

Prozessauftakt wegen betrügerischer Geschäfte nach privater Insolvenz

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Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen

Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche fassen – dieser Spruch ist zwar gut, aber nicht immer zutreffend. Herr Wilhelm K., 51 Jahre und von Beruf Kriminalbeamter, soll das Kunststück fertiggebracht haben, trotz heruntergelassener Hosen kräftig gebunkert zu haben. Der sehr seriös wirkende ältere Herr mit einem überaus freundlichen Wesen, hat, will man der Anklage glauben, über Jahre ein Doppelleben geführt. Der eine war ein armer bedauernswerter Schlucker, bei dem absolut nichts mehr zu holen war, der andere verfügte über beachtliche Reserven, die er im richtigen Augenblick aus den verborgenen Ecken seines nackten Ichs hervorzauberte.

Vor Jahren hatte Herr Wilhelm beim Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg Verbraucherinsolvenz angemeldet. Das heißt, er war nicht mehr in der Lage, seinen privaten Verbindlichkeiten nachzukommen, die Schulden wuchsen schneller als die Rückzahlungen möglich waren. Trotz seines nicht allzu schlechten Einkommens als Polizist. 2200 Netto gibt er an, die ihm monatlich zur Verfügung stehen. Abzüglich der Unterhaltszahlungen für zwei Kinder mit 550 Euro. Bleiben immer noch 1650 Euro. Doch das reichte nicht, um alle Forderungen zu erfüllen. Die Gläubiger standen in Scharen auf der Matte, die Mahnschreiben und Drohbriefe häuften sich. Doch wo nichts ist, ist auch nichts zu holen. Wilhelm wusste nicht mehr weiter.

Um der Dauerverschuldung ein Ende zu setzen, meldete er private Insolvenz an. Herr Wilhelm erklärte sich für wirtschaftlich gescheitert und versicherte gegenüber dem Insolvenzverwalter, dass seine Taschen bis auf den letzten Cent leer seien und er keine Reserven mehr versteckt halte. Das ging ein Weilchen gut, bis ein Gläubiger auf lukrative Münzangebote im Internet stieß. Der Neugierige ließ nicht locker und fand immer neue Offerten. Alle liefen auf den Namen des Herrn Wilhelm. Schließlich erhielt der Insolvenzverwalter den Tipp, dass beim armen Kommissar doch noch einiges zu holen sei. Die Staatsanwaltschaft ermittelte und kam auf satte 75 956,62 Euro, die als Erlös vom Münzverkauf in die Taschen des nackten Mannes geflossen sein sollen. Die Einnahmen hätte er unverzüglich dem Verwalter melden müssen. Das tat er nicht und landet nun vor dem Kadi.

Hat er oder hat er nicht? Herr Wilhelm will nicht aussagen. Nur soviel: Die Anklage trifft nicht zu. Nun ist es an der Staatsanwaltschaft, den Beweis anzutreten, dass der Kommissar kräftig geschummelt hat.

Private Insolvenzen sind seit dem 1. Januar 1999 möglich. Die Gläubiger des Schuldners müssen allerdings damit einverstanden sein. In der Regel sind sie es. Bekommen sie durch das Insolvenzverfahren doch wenigstens einen Teil ihres Geldes wieder. Der Schuldner muss eine eidesstattliche Erklärung abgeben, den Offenbarungseid leisten oder, volkstümlich gesprochen, die Hosen runterlassen. Alle Beträge, die über 989,99 Euro liegen, werden dem Schuldner zur Tilgung seiner Verbindlichkeiten gepfändet. Hält der Privatinsolvente sechs Jahre lang durch, zeigt sich gutwillig und gibt alles, was er über den genannten Betrag hat, ab, ist er dann von der Restschuld befreit und kann so einen schuldenfreien wirtschaftlichen Neuanfang, ein Leben in Würde beginnen.

In Deutschland sind es jährlich etwa 120 000 Bürger, die sich von der Last drückender Schulden befreien wollen und einen privaten Insolvenzantrag stellen. In Berlin gehen etwa 10 000 Menschen diesen letzten Schritt, um der Schuldenfalle zu entkommen. Die Tendenz ist steigend. Bei der Schuldnerberatung sind es immer die selben Gründe, die zur Zahlungsunfähigkeit führen: Verlust der Arbeit, Ehescheidung, Masseneinkäufe auf Kredit und Spielsucht. Meist ist es ein Mix verschiedener Faktoren. Um schnell wieder an Geld zu kommen, begehen viele Schuldner den nächsten Fehler: Sie gehen auf scheinbar lukrative Angebote dubioser Geldvermittler ein, um von denen zusätzlich abgezockt zu werden. Und der Schuldenberg wächst. Am Ende bleibt dann nur noch der private Bankrott.

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