Ein Stück auf dem Berliner Mauerweg

ND-Frühjahrswanderung führt am 17. April durch die einstige DDR-Exklave Klein Glienicke

Information heute über damals
Information heute über damals

Besonders die Wohnhäuser im Schweizer Stil verleihen Klein Glienicke ein idyllisches Aussehen. Zehn solcher Gebäude ließ Prinz Carl von Preußen in den Jahren 1863 bis 1866 errichten, zum Teil blieben sie bis heute erhalten. Hinter den Häusern erhebt sich der 66 Meter hohe Böttcherberg. Nur ein paar Schritte sind es bis zu seinem Fuß – und doch war der Gipfel von 1961 bis 1989 für die Anwohner so nicht erreichbar. Dazwischen stand die Berliner Mauer, drei Meter hoch, aus Beton und oben drauf Stacheldraht. Von dieser Zeit berichten Texte und Fotos auf Stelen, die sich gegenüber der Schweizer Häuser befinden.

Hier vorbei führt am 17. April die 7,5 Kilometer lange Strecke der ND-Frühjahrswanderung. Ganz in der Nähe vereinigt sie sich mit dem 14,5 Kilometer langen Abschnitt. Gestartet wird von 8 bis 11 Uhr am S-Bahnhof Potsdam-Babelsberg. Start- und Wanderkarten gibt es kostenlos. Ziel ist das Restaurant »Söhnels Landhaus« an der Neuen Kreisstraße 50 in Berlin-Wannsee. Klein Glienicke war eine Exklave der DDR auf Westberliner Gebiet, ab 1961 quasi rundum von der Mauer umgeben, nur über die schmale Parkbrücke mit der Stadt Potsdam verbunden. Posten kontrollierten an dieser Brücke die Ausweise. Wer Bekannte oder Verwandte besuchen wollte, benötigte einen Passierschein.

»Wegen der Einschränkungen zogen vor allem jüngere Leute aus Klein Glienicke fort«, verrät eine der Stelen. »Leerstehende Häuser wurden abgerissen.« Im Juli 1973 sei es zwei Familien gelungen, durch einen 19 Meter langen Tunnel aus dem Keller ihres Hauses nach Westberlin zu flüchten. Nur mit Kinderschaufeln und einem Spatenblatt hatten sie den Tunnel gegraben. Wegen des hohen Grundwasserspiegels hatte ein solcher Tunnel eigentlich als unmöglich gegolten. Doch das Ministerium für Staatssicherheit hatte nicht beachtet, dass der Grundwasserspiegel in Hitzeperioden sinkt. Wegen des unregelmäßigen Grenzverlaufs gab es zwar immer wieder Überlegungen, Gebiete auszutauschen. Doch dazu ist es nie gekommen.

Am 13. August 1961 machte die DDR ihre Staatsgrenze dicht, um ein Ausbluten des kleinen Landes zu verhindern. In der damaligen Situation des Kalten Krieges schien dieser Schritt unausweichlich. Mehr als 130 Menschen starben an der Mauer, zwei bei Klein Glienicke.

Am späten Abend des 15. November 1968 chauffierte der Gefreite Rolf Henniger seinen Feldwebel der Grenztruppen in einem Trabant über die Babelsberger Karl-Marx-Straße. Kurz vor 23 Uhr, etwa 40 Meter vor dem Kontrollpunkt an der Klein Glienicker Parkbrücke erspähte der Feldwebel am Straßenrand einen grünen Uniformmantel. Er meinte, dort stehe der Abschnittsbevollmächtigte und befahl dem Gefreiten Henniger, mit dem Wagen zurückzusetzen. Tatsächlich verbarg sich hinter einem Baum ein Volkspolizist. Doch es handelte sich nicht um den ABV, sondern um den angehenden Kriminalpolizisten Horst Körner, der in Potsdam gerade einen Lehrgang absolvierte. Körner hatte sich unerlaubt von seinem Wachposten an der Kripo-Schule entfernt. Vermutlich wollte er einen Grenzdurchbruch wagen. Körner glaubte sich nun entdeckt, feuerte aus einer Maschinenpistole und erschoss dabei den Gefreiten Henniger. Der Feldwebel ließ sich aus dem Kübelwagen fallen, feuerte zurück und traf Körner tödlich.

Rolf Henniger gehört zu den mindestens 25 DDR-Grenzern, die im Dienst den Tod fanden. Der aus Saalfeld stammende Reichsbahn-Lokführer wurde posthum zum Unteroffizier befördert und mit militärischem Zeremoniell beigesetzt. Straßen, Schulen und Arbeitskollektive erhielten seinen Namen. Dass ihn ein Volkspolizist erschossen hatte, sagte man der Familie nicht. Weil Henniger im privaten Kreis selbst Fluchtabsichten geäußert hatte, glaubten Angehörige bis zur Wende, Henniger sei bei einem eigenen Grenzdurchbruch getötet worden.

Der Vorfall ereignete sich nahe der einstigen Enver-Pascha-Brücke. Den Namen des Generals hatte das 1906 errichtete und 1945 zerstörte Bauwerk im Jahr 1915 erhalten. Enver Pascha war ab 1909 Militärattaché des Osmanischen Reichs in Berlin. Drei Jahre wohnte er damals in Klein Glienicke. 1914 führte Enver Pascha seine Heimat an der Seite von Deutschland und Österreich-Ungarn in den ersten Weltkrieg. Während des Krieges zeichnete er verantwortlich für den Völkermord an den Armeniern.

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