Die zweite Rechnung für den Wasseranschluss

Eigenheimbesitzer in Goßmar sollen Beiträge bezahlen, obwohl sie nach der Wende schon Baukostenzuschüsse leisteten

Wasser- und Abwasserkosten sorgen in Brandenburg für immer neuen Ärger.
Wasser- und Abwasserkosten sorgen in Brandenburg für immer neuen Ärger.

Tausende Eigenheimbesitzer aus Sonnewalde (Elbe-Elster) sollen jetzt jeweils tausende Euro für Trinkwasseranschlüsse und Abwasserkanäle zahlen. Dabei haben einige von ihnen die Anschlüsse einstmals selbst gelegt. Aber das interessiert den Wasser- und Abwasserverband Westniederlausitz (WAV) nicht. Was hier geschehe, sei eine »absolute Katastrophe«, findet die Landtagsabgeordnete Carolin Steinmetzer-Mann (LINKE). Grundlage dafür sei ein Gesetz, das 2009 noch die alte SPD/CDU-Koalition beschlossen habe – gegen die Stimmen der Linksfraktion.

1561 Bescheide verschickte der WAV Westniederlausitz im Oktober und November vergangenen Jahres. Insgesamt geht es um Beiträge in Höhe von 2,4 Millionen Euro. Bis zum 15. März sind 1,2 Millionen Euro geflossen. Im Einzelfall wurden bis zu 6000 Euro verlangt. In der Gegend leben viele Rentner, die eine derartige Summe nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln können. Sie müssen ihre Ersparnisse angreifen, wenn sie denn welche haben. 54 Betroffene stellten den Antrag auf Ratenzahlung. Andere wollen sich vor Gericht wehren.

Die Bürger sollen die Zeche zahlen für Misswirtschaft beim Trink- und Abwasserzweckverband Sonnewalde und Umland (TAZ). Beim TAZ hatten die Gebühren die Kosten des laufenden Geschäfts nicht gedeckt. Er machte späteren Berechnungen zufolge pro Kubikmeter verkauftes Trinkwasser zwei Euro Verlust und stopfte die entstehenden Finanzlöcher mit Krediten. Schließlich konnte er sich nicht mehr halten und fusionierte mit dem Zweckverband Trink- und Abwasser Doberlug-Kirchhain zum WAV Westniederlausitz. In diese Ehe brachte der TAZ enorme Schulden mit. Im vergangenen Jahr stand der WAV noch gewaltig in der Kreide. Aber aus dem Schuldenmanagementfonds des Landes Brandenburg sind 2,45 Millionen Euro versprochen. Rund 1,8 Millionen Euro sind bereits geflossen. Wenn auch der Rest eingetroffen ist, bleiben Darlehen in Höhe von 425 000 Euro übrig. Der WAV wäre damit raus aus der Klemme.

Eigentlich wollte man keine Beiträge von den Altanschließern erheben, beteuert Verbandsvorsteher Dietmar Seidel. Indirekt zwinge die Finanzspritze des Landes dazu. Die Entschuldungshilfe werde nämlich nur geleistet, wenn Wasserverbände sich verpflichten, keine neuen Schulden zu machen. Der WAV dürfte keine Kredite mehr aufnehmen. Man brauche jedoch Geld, um weiter zu investieren.

Seit Jahren wird Altanschließern, die bereits in der DDR an Trinkwassernetz und Kanalisation angeschlossen worden sind, mit nachträglichen Beiträgen gedroht. Inzwischen gehen in Brandenburg immer mehr Bescheide raus. Der Verband der Deutschen Grundstücksnutzer (VDGN) schätzt allerdings, dass deutlich mehr als die Hälfte der Betroffenen noch keine Post erhalten haben. »Die Welle kommt erst noch«, erwartet VDGN-Mitarbeiter Fred Fischer.

Zwar müssen Wasserverbände keineswegs zwangsläufig Beiträge von den Altanschließern verlangen. Sie dürfen ihre Kosten auch ausschließlich durch Gebühren decken, hat das Innenministerium klargestellt. Wer jedoch von den Neuanschließern Beiträge fordert, der müsse auch die Altanschließer heranziehen.

Der WAV Westniederlausitz ist in mehrfacher Hinsicht ein Spezialfall. Nach derzeitigem Stand werden Altanschließer aus Doberlug-Kirchhain nicht geschröpft. Ansprüche gegen diese Kunden seien höchstwahrscheinlich verjährt, verrät Verbandsvorsteher Seidel. Blechen sollen dagegen die Sonnewalder, selbst wenn sie ihre Anschlüsse erst nach der Wende erhielten und dafür schon einmal Baukostenzuschüsse berappt haben. Ausgehebelt wird die Verjährungsfrist angeblich durch die vermeintlich fehlerhafte Satzung des TAZ Sonnewalde. So sei die Höhe der Zahlungen einst nach der Rohrlänge berechnet worden, heißt es. Tatsächlich sei aber die Grundstücksgröße maßgeblich. Im Prinzip müsse sich der WAV nicht einmal um die Baukostenzuschüsse scheren. Er könne so tun, als seien diese niemals gezahlt worden.

So weit will Verbandsvorsteher Seidel indes nicht gehen. »Die Baukostenzuschüsse werden angerechnet«, versichert er. Weil Unterlagen des TAZ unvollständig sind, habe man zunächst aber Bescheide herausgeschickt, die solche Zuschüsse nicht berücksichtigen. 188 Betroffenen legten deswegen Widerspruch ein. Sie sollen nun Belege einreichen. Dann werde die bereits früher gezahlte Summe von der Forderung abgezogen, verspricht Seidel. Es könne sogar sein, dass manch einer noch etwas herausbekommt, weil der alte Zuschuss höher ausfiel als der jetzt verlangte Beitrag.

Im Sonnewalder Ortsteil Goßmar warfen viele Nachbarn die Unterlagen weg. Sie dachten, sie brauchen sie nicht mehr, erzählt Ute Kriebel. Die heute 69-Jährige zog 1998 mit ihrem Mann Berndt nach Goßmar. Dort kaufte sie das ungefähr 100 Jahre alte Bauernhaus ihres Onkels, der bis zu seinem Tod vor drei Jahren weiter mit dort lebte. Das Grundstück ist 3870 Quadratmeter groß. Bis Anfang der 1990er Jahre lieferte ein Brunnen das Trinkwasser und die Fäkalien kamen in eine Grube. So wurde es im ganzen Dorf gehandhabt. Erst nach der Wende sorgte der TAZ Sonnewalde dafür, dass Leitungen gelegt wurden. 1994 zahlte Ute Kriebels Onkel dafür umgerechnet 1250 Euro Baukostenzuschuss.

Zum Glück bewahrten die Kriebels die Belege auf. Mit Datum vom 29. Oktober 2010 schickte ihnen der WAV einen Bescheid über 1767,52 Euro. Wenn es mit rechten Dingen zugeht, müsste das Ehepaar – abzüglich des Baukostenzuschusses – nur 517,52 Euro überweisen. Mit dieser Summe wäre Ute Kriebel einverstanden. Doch sie traut dem WAV nicht mehr über den Weg. So hat Vorsteher Seidel prognostiziert, dass wegen der Beiträge in den kommenden Jahren die Wassergebühren sinken. Erst einmal seien sie aber zum Jahresanfang angehoben worden, beschwert sich Kriebel.

Die Materie ist überaus kompliziert und für einen Laien ziemlich unverständlich. Ein Rechtsanwalt würde sich kaum große Mühe geben können für ein vergleichsweise schmales Honorar von vielleicht 350 Euro – mehr ist im Einzelfall nicht drin. Abhilfe würde eine Prozesskostengemeinschaft versprechen. Der VDGN versucht, solche Solidargemeinschaften zu organisieren. Im Fall Sonnenwalde haben sich schon 430 Personen in die Liste eingetragen. Weitere Mitstreiter sind willkommen. Ob sie Mitglieder im VDGN sind, spielt dabei keine Rolle. Je nachdem, wie viele Leute mitmachen, liegt das Prozesskostenrisiko beim Einzelnen zwischen 50 und 150 Euro, erzählt VDGN-Mitarbeiter Fischer. Damit ließen sich Rechtsanwälte, Gutachter und Wirtschaftsprüfer bezahlen.

Ansatzpunkte, die Bescheide zu kippen, gibt es Fischer zufolge mehrere. So sei zweifelhaft, ob die Satzung des TAZ Sonnewalde wirklich unwirksam ist. Außerdem sei die Kalkulation des WAV nicht nachvollziehbar. Viel entscheidender sei jedoch, ob Anschlussbeiträge für Altanschließer nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen. Dies wäre durch das Landesverfassungsgericht zu klären. Fischer argumentiert: Schließlich zahlten Altanschließer früher viele Jahre Gebühren, mit denen auch die Errichtung von Wasserwerken finanziert wurde. Damals gab es keine Anschlussbeiträge. Wenn die Altanschließer jetzt noch einmal zusätzlich Beiträge berappen müssen, stützen sie damit die Gebühren für die Neuanschließer. Dies sei ungerecht.

In Mecklenburg-Vorpommern sind Prozessgemeinschaften von Altanschließern per Gesetz nahegelegt worden, berichtet Fischer. In Brandenburg leider nicht. Deshalb müsse der WAV hier zustimmen. Für morgen sei eine Verbandsversammlung einberufen, die darüber entscheiden soll.

VDGN, Irmastraße 16 in 12 683 Berlin, Tel.: (030) 514 88 80, www.vdgn.de

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