»Sehnsucht nach Trugbildern«

In Potsdam gründet sich eine Bürgerinitiative gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche

  • Lesedauer: 2 Min.
Seit Jahren wird in Brandenburgs Hauptstadt Potsdam um den geplanten Wiederaufbau der Garnisonkirche im Stadtzentrum gestritten. Das evangelische Gotteshaus wurde 1933 von den Nazis zur Inszenierung der Reichstagseröffnung genutzt.

Potsdam (epd/ND). Gegner des geplanten Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche wollen einen neuen Anlauf zur Verhinderung des rund 80 Millionen Euro teuren Bauvorhabens starten. Verantwortung vor der Geschichte bedeute, »dieses zerstörte Symbol nicht wieder zu errichten«, heißt es im Aufruf zur Gründung einer Bürgerinitiative, der am Montag in Potsdam vorgestellt wurde. Die Pläne stünden einer weltoffenen Stadt »gänzlich entgegen«.

Gründung am 12. Mai

Am Montag jährte sich die NS-Reichstagseröffnung am sogenannten »Tag von Potsdam« zum 78. Mal. Die evangelische Garnisonkirche wurde damals von den Nationalsozialisten zur Inszenierung der Parlamentseröffnung genutzt. Zahlreiche kommunistische und sozialdemokratische Abgeordnete waren zu der Zeit bereits verhaftet oder auf der Flucht. Im April 1945 wurde das Bauwerk aus dem Barock bei einem alliierten Luftangriff weitgehend zerstört. Die Ruine wurde im Juni 1968 auf Beschluss der SED abgerissen. Die Bürgerinitiative »Potsdam Ohne Garnisonkirche« soll am 12. Mai offiziell gegründet werden. Damit solle ein Forum für Einwände aus unter anderem städtebaulichen, kulturhistorischen oder stadtpolitischen Gründen geboten werden, hieß es weiter. Die offenkundige »Sehnsucht nach barocken Trugbildern« in Potsdam werde mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Mit der Initiative solle eine »bürgerliche Front« gegen die »Vergangenheitsüberführung ins Jetzt« aufgebaut werden, sagte Marcus Große aus dem Kreis der Bürgerinitiativen-Gründer aus der alternativen Szene. Es sei fragwürdig, die gewachsene Struktur der Stadt mit einem »Willkürakt der Kosmetik und Ästhetik« zu ändern. Die verschiedenen Gesichter der Stadt würden so durch ein »künstliches Gesicht« überdeckt, sagte Thomas Popp, ein weiterer Initiator.

Die Garnisonkirchenstiftung will die Vorbereitungen zum Wiederaufbau der Kirche am Freitag mit dem ersten Spatenstich für neue temporäre Andachts- und Ausstellungsräume am historischen Ort im Stadtzentrum fortsetzen. Damit werde zugleich ein »Meilenstein« für den rund 40 Millionen Euro teuren Wiederaufbau des Turms der Kirche gesetzt, teilte die Stiftung am Montag mit. Der Grundstein wurde bereits 2005 gelegt. Der Kirchturm soll 2017 fertiggestellt werden.

Angeblich nur Spenden

Das Bauvorhaben soll nach Darstellung Kirchenbefürworter aus Spenden finanziert werden. Bislang stehen rund drei Millionen Euro zur Verfügung, darunter eine Erbschaft von etwa 700 000 Euro. Dazu kommen jedoch noch rund zwei Millionen Euro öffentliche Mittel aus ehemaligem SED-Parteivermögen. Rund 400 000 Euro sollen für die geplanten Andachts- und Ausstellungsräume ausgegeben werden.

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