Flott dabei bei »Open Air«

Zwei Polizisten wegen Vorteilsnahme angeklagt

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen

Als Berlin 1991 den »Platz der der Akademie«, wie er zu DDR-Zeiten genannt wurde, wieder in »Gendarmenmarkt« umbenannte, da hatten die Straßenschilderstürmer sicher nicht jene Herren vor Augen, die seit gestern vor Gericht stehen. Zwei Gendarmen der Neuzeit sind beschuldigt, auf dem Platz ein paar unvergessliche Stunden erlebt zu haben. Doch wo andere zwischen 32 und 75 Euro hinblättern mussten, da kamen Herr Hartmut (62) und Herr Norbert (52) bei den alljährlich stattfindenden »Classic Open Air« zwischen 2001 und 2005 in den Genuss des freien Eintritts. Jose Carreras, Udo Jürgens, »Sommernacht der Oper« und 19 weitere erlesene Konzerte fanden so unter stiller polizeilicher Teilnahme statt. Insgesamt 200 Karten sollen auf diese Weise den Besitzer gewechselt haben.

Juristisch nennt sich das Vorteilsnahme, denn ein Beamter darf den Verlockungen der unbezahlten Kartenversorgung nicht erliegen. Veranstalter verschenken gern, vor allem dann, wenn sie sich von den Beschenkten Vorteile erhoffen. Wenn beispielsweise ein Wagen falsch geparkt haben könnte, dann haben die eingesetzten Beamten, die Vermutung liegt nahe, schon mal ein Auge zugedrückt. Wer weiß.

Fünf Polizisten waren ursprünglich angeklagt, fleißig Karten kassiert zu haben, darunter auch der einstige Chef der Direktion 3 und Inspekteur der Bereitschaftspolizei der Länder. Gegen hohe Geldbußen wurden die Verfahren 2010 in aller Stille eingestellt. Aus den billigen wurden teure Karten. Der Inspekteur musste 9000 Euro zahlen. Die Beamten, so hieß es damals, mussten wegen der Open-Air-Veranstaltungen erheblich mehr ackern. So empfanden sie die Offerten der Veranstalter gewissermaßen als wohlverdiente Ausgleichszahlungen.

2006 flog die Ticketaffäre auf – die Polizeiführung hatte einige anonyme Hinweise aus den eigenen Reihen erhalten, von Leuten, die beim Kartensegen zu kurz gekommen waren. Die Staatsanwaltschaft begann zu ermitteln, die Polizeidirektion und Privatwohnungen wurden durchsucht. Dabei wurde auch bekannt, dass ein Polizist extra dafür abgestellt war, am Polizeicomputer Börsenkurse zu verfolgen und günstig mitzuspekulieren. Das ist jetzt nicht mit angeklagt.

Auch in dem Falle der beiden Beamten bot das Gericht den Angeklagten einen Deal an: Sollten sie ein umfassendes und glaubwürdiges Geständnis ablegen und auch weitere Namen nennen, so würde das Gericht ihnen bescheidene Strafen versprechen. Bei Herrn Hartmut soll die Höchststrafe bei elf Monaten liegen, Herr Norbert soll mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen davonkommen. Doch beide verweigerten die Aussage und ihre Anwälte wiesen den Deal zurück. So wird es keine weiteren Absprachen zwischen Gericht und Angeklagten mehr geben.

Der größte kriminelle Nachkriegsakt auf dem Gendarmenmarkt fand am 16. August 2002 im Französischen Dom statt. Da verkündete ein gewisser Herr Peter Hartz die Arbeitsmarktreform der SPD-Schröderregierung und versprach Millionen neuer Arbeitsplätze. Was daraus geworden ist, ist bekannt. Und jener Herr Hartz stand später ebenfalls vor Gericht – weil er als Personalchef bei VW zwei Millionen Euro an der Steuer vorbei kassiert haben soll. Dagegen sind die beiden Polizisten, die Udo Jürgens so lieben, wirklich kleine Fische. Der Prozess, der mit einigen Jahren Verspätung begann, wird sich bis in der Herbst hineinziehen, da einer der Angeklagten nur eingeschränkt verhandlungsfähig ist.

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