Bildhaut und Sinnbild

Galerie Pohl zeigt Gedenkausstellung zu Christa Böhme und Manfred Böttcher

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Christa Böhme schied 1991 50-jährig – auf dem Höhepunkt ihres Schaffens – aus dem Leben, Manfred Böttcher erlag 2001 im 67. Lebensjahr einem langen, schweren Leiden. Beide gehörten zum (Ost-)Berliner Malerkreis, der einen von der sinnlichen Reflexion ausgehenden Peinturismus begründete, und wenn es hier vor allem um Malkultur und Formbewusstsein ging, dann müssen beide an vorderster Stelle genannt werden. Jetzt, im 20. Todesjahr von Christa Böhme und dem 10. Todesjahr von Manfred Böttcher, erinnert eine Doppelausstellung in der Galerie Joachim Pohl in Pankow an sie. Es werden vornehmlich Arbeiten auf Papier präsentiert, Aquarelle, Feder-, Tusche-, Kohle-, Kreidezeichnungen, auch kombiniert, bei Manfred Böttcher kommen noch Tempera, Gouache und Graphit hinzu.

Wenn man die Landschaften, Interieurs, Fensterblicke, Stillleben, Figurendarstellungen, Akte und Porträts betrachtet, deren kräftige Kontraste die Leuchtkraft der Farben zu höchster Intensität steigern, dann stellt sich nichts als Freude über diese Arbeiten ein. Bei Christa Böhme bildet sich die Farbfläche durch Probieren, Einstimmen, Einfärben, Streichen, Tränken des Papiers mit verdünnten Mixturen, pastosen Überlagerungen, durch Zeichnen, Aussparen, Übermalen. Die Formwelt entfaltet sich aus den ausbalancierten Bezügen farbiger Texturen, aus dem Wechselspiel von Anpassung und Kontrast, aus assoziativen Zuordnungen. Immer wieder verblüfft die Leichtigkeit und Unaufdringlichkeit, mit der malerische Zusammenhänge von großer Komplikation in Erscheinung treten. Nachdenklichkeit trifft sich mit Sinnlichkeit und konstruktivem Spieltrieb. Spontaneität, Übermalung, Überzeichnung, Durchdringung, Transparenz, Duktus orientieren sich nicht an einem Formgerüst, sondern bilden es.

Ihre Gestalten entstehen seismografisch aus Erschütterungen (kleinen oder großen) – es sind unsichere (keineswegs unentschiedene) Erscheinungen ohne anatomische Prägnanz und physiognomische Deutlichkeit. Ein fragmentarischer Stil, eine Minimalgeste bildet sich aus, die die lapidare wie nervöse Linie, ganze Linienbündel, als Ausdrucksträger, Empfindungsvermittler begreift, dann sich aber auch wieder mit dem Ertasten von Tiefenbezügen bescheidet. Immer ist da der Respekt vor dem anderen, die Ehrfurcht im hingebenden Schauen. So war Christa Böhme: eine empfindsame Erdengängerin von wechselnder Befindlichkeit, die sich verlieren und auch wieder zurechtfinden, die auf ungeordnet erscheinende Zusammenhänge diszipliniert, auf geordnete aber auch impulsiv-gegenläufig antworten konnte.

Und Manfred Böttcher? Eine seiner frühen Arbeiten, »Letzter Abschied« (um 1956, Tusche/Gouache auf Malkarton) – welch überirdische Stille, welch Schmerz und Ergriffensein drückt sich hier aus! In seinen Landschaften, Interieurs und Figurenbildern formulierte er ganz aus der Farbe heraus. Das Atmosphärische gab er in Licht- und Raum-Modulationen, brach das Bildgefüge auf und brachte die Räume zum Fliehen. Raumkomposition wurde weitgehend in Farbkomposition übertragen. Farbe wird – zu großen Flächen zusammenwachsend – in ihrer schweren, oft geheimnisvoll aus der Tiefe leuchtenden Art erneut expressiver Bedeutungsträger.

Um das Sichtbarmachen von Zwischenschichten und sublimen Schwingungen geht es auch in den Figuren- und Kopfstudien. Existenzielles wurde ihm immer wichtiger, mit der sensiblen Kultivierung der Bildhaut gelangte er zusehends zum Sinnbild, zum Lebensgleichnis, zur Vision von Wirklichkeit. Von seinen Arbeiten geht Vitalität, Wärme, Dichte, aber auch Ruhe und Klarheit in der Unruhe und Dispersion aus. Sie halten genau die Balance zwischen den abstrakten Gebilden der reinen Form und den optischen Erscheinungen der Natur.

Der im vergangenen Jahr verstorbene Bildhauer Werner Stötzer hat seinerzeit über Christa Böhme gesagt: »Verborgen in ihren Bildern bleibt ihr Gesicht.« Dieses Wort gilt für beide Künstler, deren hier ausgestellten Arbeiten so frisch, so unmittelbar, so bezwingend anmuten, als ob sie erst vor kurzem entstanden seien.

Bis 29. April., Galerie Joachim Pohl, Pankow, Wollankstr. 112a, Mo., Di., Fr. 14-18 Uhr, Do. 14-19.30 Uhr, Infos unter Tel.: (030)-486 71 13

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