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Der Schrei

Peymanns Brief

  • Lesedauer: 2 Min.

Der Vorgang hat etwas Rührendes, inständig Bedrängendes. Claus Peymann, Direktor des Berliner Ensembles, veröffentlicht auf dem Flyer des Mai-Spielplans einen Brief an Theaterbesucher. Er spricht von einem »Rätsel«, denn »eine unserer wichtigsten, politisch aufregendsten Aufführungen seit langem – ich meine Mark Ravenhills ›Freedom And Democracy I Hate You‹ – findet zu meiner Verblüffung nicht Ihr Interesse.«

Peymann fragt: »Wollen Sie auf unserer Bühne nicht sehen, wie die Kollateralschäden heutiger Kriege unsere Seelen verwüsten?« Er mutmaßt, Spielplan-Fehler gemacht, das Publikum in den letzten Jahren »zu sehr ›verwöhnt‹«, ihm »die dunkle Seite unserer Gegenwart« vorenthalten zu haben. Das wäre, so der Regisseur, »unverzeihlich«.

Ravenhill wühlt böse in den Traumata des Irak-Krieges, Peymann inszenierte schrill, hart; ein Humanschrei des Verzweifelns. Sympathisch, wie hier jemand die Zeit quasi zurückdrehen möchte ins Unmittelbare einer wohl erledigten politischen Kunstwirkung – (und eines politischen Kunstbedürfnisses eines beträchtlichen Teils Publikum!). Und wie er nun leidet, weil Theater Tempel ist, wo er doch den Kampfplatz will – das weht wie ein Schmerz herüber, wie ihn nur kämpfende Trotzköpfe und Narren kennen

Der BE-Chef bittet sein Publikum und möchte ihm gern befehlen. Man spürt das und möchte mitbefehlen. Es geht um eine Inszenierung, die es schwer hat (Schicksal vieler Versuche des Gegenwartstheaters), aber zugleich geschieht ein Gleichnis. Der Brief greift ein in den modernen Grundkonflikt zwischen gepflegter Hochkultur und verstörender politischer Direktheit. Peymann vertritt beides. Das ist sie, die Freiheit im Teufelskreis.

Die nächste Vorstellung dieser scharfen, ins Derzeitige des Weltzustandes hineinreißenden Regie-Arbeit Peymanns: morgen, Mittwoch. Sehenswert! H.-D. Schütt

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