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Fühlendes Herz

Tag des freien Buches – Erinnerung an 1933, als auch Bücher Ernst Tollers Asche wurden

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 6 Min.

Am 28. Mai 1933 stand er in Dubrovnik vor den Delegierten des P.E.N.-Kongresses. Es wurden die berührendsten Momente des Tages. Ernst Toller sprach im Namen derer, die in Deutschland verboten waren, verjagt, inhaftiert, ihre Bücher vernichtet. Die Nazis hatten auch nach ihm fieberhaft gesucht, aber er hielt sich glücklicherweise in der Schweiz auf. »Dieses Geschenk der Freiheit«, rief er jetzt, »ist eine Verpflichtung gegen alle Kameraden, die in Deutschland im Gefängnis leben.«

Er sprach über die Bücherverbrennung, die noch keine drei Wochen zurücklag, und er nannte die Namen der Freunde und Gefährten, die an jenem Abend geächtet wurden. Die deutsche Delegation, die den NS-Staat vertrat und noch versucht hatte, diesen Auftritt zu verhindern, war aus Protest abgereist. Nein, den Hitler-Gegner, den Juden, den Emigranten wollte man nicht hören. Nicht seine Frage, was sie, die deutschen Autoren, gegen das schaurige Spektakel vom 10. Mai unternommen hätten, und nicht seine Anklagen gegen das Land, das gerade in die Barbarei gefallen war.

Ernst Toller war 39 Jahre alt, schlank, mittelgroß, die Augen dunkel, feurig, ein Rebellenkopf mit Liebe zum Pathos; Dichter, leidenschaftlicher Kämpfer. Seine Rede, weltweit beachtet, ist damals in vielen Sprachen veröffentlicht worden. Ein Reporter aus Sarajevo, der ihn interviewte, gestand: »Ich habe selten erlebt, dass ein Mann in wenigen Tagen so populär wurde und überall mit solch aufrichtiger Freude begrüßt wurde.«

Toller war über Nacht die Stimme des Exils geworden. Er hatte die Pläne seiner völlig unbekannten Landsleute, sich hier als legitime Vertretung Deutschlands zu präsentieren, eindrucksvoll durchkreuzt. Drei Monate später, am 23. August 1933, stand er, mit Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Kurt Tucholsky, auf der ersten Ausbürgerungsliste der Nazis.

»Wenn das Joch der Barbarei drückt, muss man kämpfen und darf nicht schweigen. Wer in solcher Zeit schweigt, verrät seine menschliche Sendung.« Mit diesem Bekenntnis übergab Toller der Öffentlichkeit kurz darauf einen Bericht über sein Leben, beendet nach jahrelanger Arbeit in diesem dramatischen Frühjahr 1933.

Zuletzt hatte er den knappen Vorspruch geschrieben. Nicht nur seine Jugend, heißt es da, sei in diesem Buch aufgezeichnet worden, »sondern die Jugend einer Generation und ein Stück Zeitgeschichte dazu«. Er setzte unter seinen Text kein Datum, sondern die Zeile: »Am Tag der Verbrennung meiner Bücher in Deutschland.« Im November lagen die Erinnerungen vor, publiziert bei Querido in Amsterdam, im eben gegründeten Exil-Verlag, der nun seine ersten Bücher auslieferte, Romane von Anna Seghers, Lion Feuchtwanger, Gustav Regler und Joseph Roth, Döblins Essay »Jüdische Erneuerung« und Heinrich Manns »Der Haß«, eine Sammlung von Aufsätzen zur Zeitgeschichte.

Tollers »Eine Jugend in Deutschland«, glanzvolles Zeugnis der Exilliteratur, kommt jetzt in einer Neuausgabe zu uns, für den Reclam-Verlag ediert vom exzellenten Münchner Literaturwissenschaftler Wolfgang Frühwald. Er hat 1978 schon bei Hanser, unterstützt von John M. Spalek, Tollers Werke in fünf Bänden vorgelegt, die einzige umfangreiche Sammlung der Dramen, Gedichte, Reportagen und kritischen Schriften, die es gibt. Seit langem vergriffen.

Vieles, was einst den Ruhm dieses Poeten begründete, die expressionistische Dramatik mit ihrem Aufruhr, auch ein Teil der Lyrik, ist heute verblasst, kaum noch gegenwärtig. Die Autobiografie jedoch, in der Reclam-Ausgabe so umfassend und fantastisch kommentiert wie keine andere, ist frisch geblieben. Packende Prosa, die in einer Folge knapper, furios hingeworfener Szenen ein tapferes Leben erzählt und zugleich illustriert, wie das 1918 vollkommen erschöpfte Land langsam dem Januar 1933 entgegen taumelte.

Toller steckt noch in einem Kleidchen, als er den Ruf hört, mit dem er nichts anfangen kann. Ein kleines Mädchen aus der Nachbarschaft läuft auf ihn zu, von seinem Kinderfräulein mit den Worten gestoppt: »Bleib da nicht stehen, das ist ein Jude.« Später, da ist er noch Gymnasiast, schreibt der 1893 Geborene und früh Stigmatisierte seinen ersten Artikel, weil man den närrischen Armenhäusler Julius, nachdem ihm so viel Schnaps eingeflößt wurde, dass er stirbt, einfach liegen lässt. Da erlebt er sie zum ersten Mal, die »Grausamkeit der Welt«, die furchteinflößende Gewalt, gegen die er sich immer wehren wird. 1914 ist er, inzwischen Student in Grenoble, noch freiwillig in den Krieg gezogen, aber die dreizehn Monate an der Front machen ihn zum Kriegsgegner.

Er reiht sich, 1917 aus dem Militär entlassen, in die Front streikender Arbeiter ein, ist dabei, als die Novemberrevolution Bayern erreicht, wird führender Kopf der Münchner Räterepublik, von den weißen Terrorbanden gejagt und schließlich verhaftet, in die Todeszelle geworfen und zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Er ist dreißig, als er wieder frei ist, fest entschlossen, weiter für seine Ideale zu leben. »Mein Haar wird grau«, schreibt er. »Ich bin nicht müde.«

Zehn Jahre danach begann das Exil. Toller, der gefeierte Dramatiker und Verfasser des erfolgreichen, in der Zelle geschriebenen »Schwalbenbuchs«, ergänzte nun seine Lebensgeschichte um ein weiteres Kapitel. Es handelt vom Verhängnis, dem »Zusammenbruch von 1933«, und es fragt: »Wo seid Ihr, meine Kameraden?« Die um ihn waren, in Zürich, in London, dann in New York, erzählen bewundernd, wie er sich sofort und ganz allein an die Arbeit machte, sich mit großem Ernst und stillem Zorn, ruhelos und unverzagt um die Not anderer kümmerte.

»Sie kennen die spanischen Kinder«, sagte er im Gespräch mit Freund Hermann Kesten. »Sie lieben sie wie ich. Ich kann den Gedanken an diese hungernden Kinder nicht mehr ertragen.« In Spanien herrschte Bürgerkrieg. Er startete seine Ein-Mann-Aktion, um der Bevölkerung auf beiden Seiten der Front zu helfen. Er reiste herum, redete, bat um Spenden, stand, selber vollkommen mittellos, auch noch notleidenden Kollegen zur Seite, litt furchtbar unter der Uneinigkeit der deutschen Emigranten – und erlebte, wie seine Hilfsaktion für Spanien mit dem Sieg Francos endgültig zunichte gemacht wurde.

Er wollte noch an einer Fortsetzung seiner Erinnerungen arbeiten. Er kam nicht dazu. Zuletzt, nur Tage vor seinem Tod, nahm er in New York noch einmal an einem P.E.N.-Kongress teil. Bei einem Dinner in Washington stellte er die deutschen Teilnehmer vor, allesamt Emigranten, und gedachte dabei »mit ein paar sehr einfachen und sehr rührenden Worten«, wie Klaus Mann überliefert hat, derer, die Opfer der Nazis wurden, so Erich Mühsam, Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky. »Er meinte die Märtyrer. Er hatte keinen der gefallenen Freunde vergessen.« Es war die letzte Rede seines Lebens.

Niemand, sagt Klaus Mann in seiner Erinnerung, hat damals bemerkt, wie sehr er, der sich für andere aufrieb, selber litt. Schon jahrelang depressiv, gequält von Schlaflosigkeit, nahm sich Ernst Toller am 22. Mai 1939 in seinem New Yorker Hotel das Leben. Kaum eine Nachricht hat die verstreuten Gefährten so erschüttert wie dieser Tod. Toller war einer ihrer Besten, unerschrocken, selbstlos, ein »fühlendes Herz«, wie Hermann Kesten betont, ein liebenswerter Mensch und ein wunderbarer Schriftsteller.

Heute wissen es nicht mehr viele. So darf man sich freuen: Die glänzend neu edierte Autobiografie holt ihn wieder in unsere Mitte.

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland, hg. und kommentiert von Wolfgang Frühwald, Reclam Verlag, 467 S., geb., 28,95 €.

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