Verrannt in die Idee vom Stasi-Land

Opposition scheitert mit Antrag zur nochmaligen Überprüfung aller Richter

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Unnachsichtigkeit und unablässige Verfolgungswut haben in Ostdeutschland seit 20 Jahren das offene Bekennen zu Fehlern in der Vergangenheit erschwert, das Bereuen blockiert und eine Aussöhnung verhindert. Die Oppositionsfraktionen im Landtag haben sich gestern entschlossen gezeigt, bei diesem Stil zu bleiben.

Brandenburg als Stasi-Land, in dem einstige Täter an »Schaltstellen« von Polizei und Justiz sitzen und sich über die Opfer lustig machen können. Und nach der Linkspartei würde auch die SPD nun alles unter den Teppich kehren. Dieses Bild von seinem Bundesland zeichnete der CDU-Abgeordnete Danny Eichelbaum gestern in der Aktuellen Stunde des Landtags.

Die rot-rote Koalition hielt dagegen und lehnte einschlägige Anträge wegen offensichtlicher Rechtswidrigkeit ab. Der Abgeordnete Stefan Ludwig (LINKE) erklärte: »Hier werden Namen gesucht und zur Schau gestellt, Taten aus dem Zusammenhang gerissen … Es wird nichts Neues geleistet.« Die »ins Scheinwerferlicht gezerrten« Ministerien für Inneres und Justiz hatten als Ressortleiter zehn Jahre lang CDU-Minister, sagte Ludwig. Die heute massenhaft geforderten Anträge auf Akteneinsicht hätten sie 2004 bei der Stasi-Unterlagenbehörde stellen können. »Warum jetzt, wo bundesrechtlich dieser Weg verbaut ist, dieses Engagement?« Zu dem Antrag der Grünen, der darauf abzielte, alle Richter auf eine eventuelle Tätigkeit für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zu überprüfen, sagte Stefan Ludwig: »Nichts davon wäre von geltendem Recht gedeckt.« Man würde den Rechtsstaat aushöhlen, würde das beschlossen. Nirgends gebe es tatsächlich wesentliche neue Erkenntnisse, die eine solche Maßnahme rechtfertigen würden.

Die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg wehrte sich gegen den Begriff »Jagd«. Was sie betreibe, habe mit einer Jagd nicht »das Geringste zu tun«. Der Begriff sei in diesem Zusammenhang »obszön«. Einige Tage zuvor hatte Justizstaatssekretärin Sabine Stachwitz in einem Zeitungsbeitrag die Scheinheiligkeit des Vorgangs bloß gelegt, die Jagd auf Menschen angeprangert und von der »Gnade der westlichen Geburt« gesprochen. Von der Abgeordneten Teuteberg wurde Stachwitz daraufhin als »freischaffende Publizistin« bezeichnet, »die als Staatssekretärin unterschreibt«.

Der CDU-Abgeordnete Dieter Dombrowski warf der Landesregierung jetzt einen »mehr als rücksichtsvollen Umgang mit den Tätern« vor. Er forderte wie schon der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde Roland Jahn gesellschaftliche »Hygiene«.

Es gehe nicht um Stasi-Jäger und deren Jagden und auch nicht um Rache oder einen Generalverdacht, behauptete Grünen-Fraktionschef Axel Vogel, der das Thema auf die Tagesordnung der Landtagssitzung gesetzt hatte.

Doch, genau darum gehe es den Grünen, antwortete Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Es falle ihm schwer, ruhig zu bleiben. Bei den Anträgen handelte es sich um nicht weniger als um einen Generalverdacht gegen ostdeutsche Beschäftigte. Heute die Richter, morgen seien vielleicht die Lehrer im Fokus. Und weil in drei oder sechs Jahren wieder neue Erkenntnisse bei der Behörde erschlossen sein könnten, alles von vorn beginnen. »Wollen Sie das, dann sagen sie es auch.«

Der Ministerpräsident wies darauf hin, dass die Hebel der Macht in Ostdeutschland zu 90 Prozent in westdeutschen Händen liegen. Und eben nicht bei Leuten, die beim MfS oder in der SED waren. Ein halbes Prozent der Richter habe vor mehr als zwei Jahrzehnten Kontakte zum MfS gehabt – »das war und ist bekannt, darüber ist gesprochen worden« und sie seien nach eingehender Prüfung von den demokratisch gewählten Richterwahlausschüssen in ihrem Amt bestätigt worden. »Wer sich seit über 20 Jahren rechtsstaatlich bewährt, der hat Anspruch auf die Betrachtung seiner gesamten Lebensleistung.«

Platzeck erinnerte an den Landtagsbeschluss »Aufarbeitung mit menschlichem Maß«, den die CDU seinerzeit teilweise mitgetragen habe. Es sei unbillig, einer Gesellschaft »Reinstraum-Bedingungen« abzuverlangen. Versöhnung müsse auch eine politische Kategorie sein. Wenn Kanzler Helmut Kohl (CDU) 1991 die Kraft zur Aussöhnung gefordert habe, dann sei ihm persönlich das damals zu früh vorgekommen, bekannte Platzeck. Zwei Jahrzehnte später würde er das unterschreiben.

Der einstige Pfarrer und langjährige SPD-Abgeordnete Andreas Kuhnert wandte sich an die Christen im Landtag: Es dürfe nicht länger der Revanchegedanke das Handeln bestimmen. Wer einmal im Leben Fehler begangen habe, der habe das Recht auf eine zweite Chance. Das betrachte er als eine Säule seines Glaubens, und das gelte nach 20 Jahren umso mehr. Das sage er ausdrücklich als jemand, der beinah von Geburt an von der Staatssicherheit beobachtet worden sei.

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