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  • Tagesthema: Evangelischer Kirchentag

Die dritte Konfession

Die Konfessionslosen beschäftigen den Forscher und Pfarrer Andreas Fincke

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 4 Min.
Der langjährige Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Andreas Fincke, ist so etwas wie ein Spezialist zum Thema Konfessionslosigkeit in Deutschland. Seit Jahren forscht und publiziert er über Agnostiker, Freidenker, Atheisten oder Humanisten wie kaum sonst jemand im deutschsprachigen Raum.

Das Sujet scheint durchaus lohnenswert: Immerhin ein knappes Drittel der deutschen Bevölkerung – deutlich mehr als 20 Millionen Bürger – ist konfessionslos. Sie gehören keiner Glaubensgemeinschaft an. »Ich glaube, dass die Kirchen die Wucht des Themas unterschätzen«, meint Andreas Fincke, der heute als Pfarrer im brandenburgischen Bötzow arbeitet. »Ich kann nicht nachvollziehen, wieso kirchliche Akademien, Bildungshäuser und Forschungsstätten sich so wenig mit der Konfessionslosigkeit beschäftigen. Es kann sie doch nicht kalt lassen, dass hochgerechnet ein vollbesetzter ICE mit 17 Wagen jene Personenzahl umfasst, die täglich die beiden großen Kirchen verlassen.« Es gebe zwar zahlreiche soziologische Milieustudien, sagt Fincke, aber meist nur innerhalb der Mitgliederschaft der beiden großen Kirchen. Erschreckend sei, dass man im Grunde relativ wenig über die dritte große Konfession in Deutschland wisse – die Konfessionslosen.

Zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung lasse sich in Sachen Konfessionslosigkeit aber grundsätzlich ein klarer Ost-West-Unterschied feststellen. »Wir haben in West-Deutschland eine engagierte Konfessionslosigkeit, also Menschen, die in einem bewussten Entscheidungsprozess aus den Kirchen austreten. In den neuen Bundesländern ist es meist ein vererbter Atheismus in der dritten Generation. Schon die Eltern und Großeltern sind aus den Kirchen ausgetreten«, weiß Fincke.

Bemerkenswert ist dabei etwa die jüngste Umfrage im Auftrag des MDR zum Dresdner Kirchentag. Demnach glauben zwar nur rund 25 Prozent der Menschen in Ost-Deutschland an Gott, aber rund 90 Prozent halten christliche Werte wie die Nächstenliebe oder Barmherzigkeit für wichtig.

Gibt es also ein quasi christliches Geistesleben jenseits der Kirchen ohne einen biblisch-theologisch fundierten Glauben? Wohl kaum, zählt die Kirchenmitgliedschaft, die »Gemeinschaft der Heiligen«, wie es im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt, doch zu den Grundkonstanten der christlichen Existenz. Christliche Werte kann man dagegen offensichtlich auch hochschätzen, wenn man kein Christ ist.

Man dürfe die Konfessionslosen aber jetzt nicht einfach den Humanisten, Freidenkern oder Atheisten überlassen, mahnt Fincke. Denn deren Verbände hätten selbst meist nur wenige Hundert bis Tausend Mitglieder. Unmöglich könnten diese nun für die Millionen kirchlich nicht Gebundenen sprechen, rechnet er vor. Aber die Kirchen müssten mit Humanisten und Freidenkern ins Gespräch kommen.

Oftmals erlebe Finck gerade bei hohen Kirchenvertretern eine beleidigte Abkehr gegenüber der Kritik der Konfessionslosen. Auch in Dresden versuchen wieder kleine Gruppen wie schon bei früheren christlichen Großereignissen, »religionsfreie Zonen« auszurufen, um Aufmerksamkeit und Medien auf sich zu lenken. Die Initiative »GeFAHR e.V. – Gesellschaft zur Förderung von Aufklärung, Humanismus und Religionsfreiheit« will eine Petition einbringen, damit die millionenschwere staatliche Förderung des Dresdner Kirchentages zurückgenommen werde. Doch die Kritik wird nicht nur von Politikern und hohen Kirchenvertreter zurückgewiesen. Und auch Pfarrer Andreas Fincke verweist auf andere Großereignisse wie etwa die Love Parade oder jüngst in Düsseldorf den European Song Contest, die schon aus Imagegründen millionenschwer aus öffentlichen Kassen subventioniert werden. dDie rund 116 000 erwarteten Dauergäste werden in Dresden wesentlich mehr Geld in die sächsische Region tragen, als zuvor investiert und ausgegeben wurde.

Wenn aber die kleinen humanistischen und atheistischen Verbände und Initiativen alles andere als Sprachwalter von etlichen Millionen Konfessionslosen sein können, so ist zu fragen, ob denn die Kirchen in ihren Verlautbarungen für das ganze Volk, also auch für die Ungläubigen mitreden dürfen. EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider betonte jüngst im Interview mit dieser Zeitung, dass er gerade im Osten Anzeichen für eine neue Hinwendung zur Kirche sehe, etwa in den zahlreichen Kirchbauvereinen, deren Mitglieder nicht selten zu 95 Prozent aus Atheisten bestehen. Man müsse eben kein Christ sein, um sich für die Kirche im Dorf als Identifikationspunkt einzusetzen. Und dann gebe es ein Rieseninteresse an kirchlichen Bildungseinrichtungen, an kirchlicher Kultur und an kirchlicher Sozialarbeit. »Es ist vermutlich wie mit Israel in der Wüste. Das Maß ist immer eine Generation«, prophezeit Schneider.

Doch kann die Kirche wirklich noch 40 Jahre warten? Bei allem Optimismus des Ratsvorsitzenden scheint seine evangelische Kirche weiter im scheinbar sicheren Hafen der Noch-Mehrheitskirchen dahinzudümpeln. »Wir haben es bei den Millionen Konfessionslosen erstmals mit einer Zielgruppe zu tun, die nach Religion überhaupt nicht mehr fragt. Die Kirchen machen es sich zu einfach, wenn sie sagen, ohne die zehn Gebote kann man nicht leben. Im Gegenteil, man muss doch sagen, dass die Leute ein gutes und glückliches Leben führen ohne die zehn Gebote, und darauf fehlt jede theologische Antwort«, warnt Theologe Fincke.

Veranstaltungstipp zum Evangelischen Kirchentag in Dresden: (Glaubens-)Dialog mit Konfessionslosen!? – mit Dr. Andreas Fincke, Pfarrer; Anja Gladkich, Religionssoziologin; Dr. Horst Groschopp, Humanistische Akademie Deutschland; 2. Juni, 15-16.30 Uhr, Versöhnungskirche, Schandauer Straße 35-37, 01277 Dresden

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