Hochzeit in Tübingen ohne Abdullah

Bericht zur gelockerten Residenzpflicht zeigt: Situation jetzt besser, aber noch Einschränkungen

Die Situation für Flüchtlinge in Brandenburg hat sich verbessert, seit die rot-rote Koalition die Residenzpflicht lockerte. Früher mussten die Menschen immer wieder um eine Erlaubnis betteln, wenn sie ihren Landkreis verlassen wollten. Jetzt dürfen sich Flüchtlinge im Bundesland frei bewegen und sie erhalten großzügig Dauergenehmigungen für Reisen nach Berlin.

Es gibt aber eine Reihe von Ausnahmen und Einschränkungen. Darauf machten die Flüchtlingsräte von Berlin und Brandenburg gestern aufmerksam. Sie berichteten von einem Fall, bei dem einem Flüchtling aus Eberswalde die Fahrt nach Berlin verwehrt wurde, weil er 2003 in einem Supermarkt eine Packung Hühnerherzen und eine Dose des Energiegetränks »Red Bull« geklaut hatte.

»Im Artikel 13 der UN-Menschenrechtskonvention heißt es: ›Jeder Mensch hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen‹«, erinnerte Beate Selders vom Flüchtlingsrat Brandenburg. »Ein Menschenrecht verwirkt man nicht durch Ladendiebstahl.«

Der Flüchtlingsrat Brandenburg hat einen 13-seitigen Bericht dazu erstellt, wie sehr die Residenzpflicht in der Praxis tatsächlich gelockert ist. Der Bericht stützt sich dabei vor allem auf eine Umfrage bei den Flüchtlingsberatungsstellen. Die Umfrage wurde im April und Mai gemacht. Lediglich zur Stadt Brandenburg/Havel und zum Landkreis Uckermark lagen keine Informationen vor.

Übereinstimmend seien positive Veränderungen genannt worden, vermerkt der Bericht. So konnten etliche Asylbewerber Sprachkurse in Berlin belegen, zwei durften eine Ausbildung zur Pflegekraft beginnen. Für Fahrten zu Rechtsanwälten, Ärzten und Beratungsstellen sei es nicht mehr erforderlich, schriftliche Einladungen bei den Ausländerbehörden vorzulegen. Die Änderungen verschafften den allermeisten Asylbewerbern und etlichen geduldeten Flüchtlingen mehr Freiheit, wird lobend erwähnt. Doch gebe es noch Probleme. So informieren die Ausländerbehörden die Flüchtlinge nicht hinreichend über die Möglichkeit, eine Dauererlaubnis zu bekommen. Rühmliche Ausnahme sei die Stadt Potsdam, wo es regelmäßig getan werde.

Reisegenehmigungen werden oft nicht erteilt, wenn nur noch geduldete Flüchtlinge angeblich nicht mithelfen, Papiere für ihre Heimkehr ins Heimatland aufzutreiben. Hier gebe es große regionale Unterschiede, heißt es. So werfe die Ausländerbehörde im Barnim keinem einzigen geduldeten Flüchtling vor, er wirke bei der Beschaffung der Papiere nicht mit. Die Ausländerbehörde in Elbe-Elster unterstelle dies jedem zweiten Geduldeten. Offenbar hänge die Entscheidung vom Gutdünken der Beamten ab. Dies dürfe nicht sein.

Schwierigkeiten gebe es weiterhin bei Reisen in andere Bundesländer. So wurde in Oberhavel eine Reise des afghanischen Flüchtlings Abdullah E. ins baden-württembergische Tübingen abgelehnt. Er hatte am 15. März per Fax um eine Erlaubnis gebeten, weil er für den 24. März zur Hochzeit eines Freundes eingeladen war.

Die Flüchtlingsräte von Berlin und Brandenburg verlangen, dass mangelnde Mitwirkung bei der Beschaffung von Papieren und Bagatelldelikte nicht mehr Ausschlussgrund für Reisegenehmigungen sind. Sie fordern den Senat und die Landesregierung zudem auf, erneut eine Bundesratsinitiative zur gänzlichen Abschaffung der Residenzpflicht zu starten. Hoffnung macht man sich wegen der geänderten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nach den Regierungswechseln in Hamburg und Baden-Württemberg.

Ob die Erfolgsaussichten dadurch tatsächlich so groß sind, bleibt aber offen. Die LINKE freut sich erst einmal darüber, dass die gelockerte Residenzpflicht das Leben der Flüchtlinge schon entschieden erleichterte. Weitere Verbesserungen wären natürlich gut, ist zu hören.

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